Montag, 27. Juli 2020

Antifotograf - von der stillen Freude, eigentlich nicht zu fotografieren


Ich war absolut unvorbelastet - zu meiner Kindheit gab es keine Kamera in unserem Haushalt, auch später nicht. Das Gute daran, es gibt nur eine Hand voll peinlicher Fotos von mir. Mein Interesse wurde so um die Jahrtausendwende geweckt. Es bediente eher die technische Begeisterung, denn die künstlerische Herausforderung. Meine erste Digitalkamer war eine Olympus, und sie war, aus heutiger sicht, peinlich schlecht, was jedoch meimen schnellen fotografischen fortschritten keinen Abbruch tat. Außerdem sog ich Fotografiewissen auf wie ein Schwamm.


Ich hatte Talent, das darf ich ohne rot zu werden sagen, viele Tausend verkaufte Fotos sind Zeugnis dafür, doch damit beginnt jedoch auch ein Dilemma. Man könnte sagen, an diesem Punkt war das Ende schon besiegelt. Wie das sein kann? Eine einfache Geschichte, von Freude, Erfolg und wie der Kapitalismus dem ein Ende bereitet. Das Klischee läßt sich leider nicht vermeiden.
  • du nimmst eine Kamera in die Hand
  • Fotografieren macht dir Feude
  • du kaufst dir eine bessere Kamera
  • du bringst die ersten Fotos an den Mann
  • du verdienst Geld
  • du verdienst viel Geld
  • an diesem Punkt spätestens hat deine Ausrüstung einen Umfang erreicht, den du selbst nicht mehr überblickst
  • dir fällt auf, dass du nicht mehr das fotografierst was dir Freude macht, sonder das, was Geld bringt
  • du merkst, dass Andere mit deinen Fotos immer mehr Geld verdienen, und du immer weniger
  • Fotowettbewerbe dienen ausschließlich dazu, an deine Daten (oder Fotos) zu kommen und dich in Folge mit Werbung zuzuscheißen
  • die, du könntest mir mal ein Passbild, Hochzeit, Geburtstag, Event, Katze, Hut ...fotografieren Fraktion wird immer breiter und tiefer
  • die Einnahmen sinken, zumindest deine
  • du fotografierst schon lange nicht mehr, du produzierst Fotos
  • Was mach ich da eigentlich?
  • Aus, vorbei - wie gut, dass ich die Reißleine noch ziehen konnte, gut für's Seelenheil

Es war kein großer Knall, es war eher ein leiser Rückzug. Die Ausrüstung wurde pragmatisch immer kleiner, die überteuerte Soft- und Hardware abgespeckt, Events abgesagt, die Fotos allgemein weniger. Fast 20.000 davon habe ich verkauft, am Ende habe ich sie nicht mehr gezählt. In meinem Archiv lagern mittlwerweile 120.000 Stück. Ich hatte Fotos in allen großen Tages- und Wochenzeitungen, auf Wahlplakaten, Romancovers, und auf vielen Dingen, von denen ich gar nichts weiß. Auf Flickr wurden meine Werke rund 3.000.000 Mal bestaunt, den Account werde ich nicht mehr verlängern. Alles hat seine Zeit, da ist keine Trauer.



In den letzten Monaten flammt jedoch der Spieltrieb wieder auf. Kamera? Nehme ich gerne mal in die Hand und versenke sie dann wieder im mit weichen Schaumstoff ausgekleideten Koffer. Photoshop und Lightroom? Ich habe nicht einmal mehr einen PC. Das Smartphone ist mein neues Spielzeug. Mit guten Kameras ausgerüstet sind die Möglichkeiten unglaublich. Nachtaufnahmen aus der Hand, Makrophotos ohne Stativ, Tiefenschärfe ohne Ende, das hätte mir vor einem Jahrzehnt noch niemand abgekauft. Ich habe das Video als Medium für mich entdeckt.  Mit Snapseed und Lightroom Mobil entstehen blitzschnell Wunderwerke, für die ich mit Photoshop Stunden benötigt hätte. In der Cloud greife ich von überall mit allem auf alle meine Fotos zu und das Wichtigste: die komplette Fotoausrüstung steckt in meiner Hosentasche. Das bereitet mir stille Freude, mehr und mehr. Vielleicht wird ja noch was draus, aber diesmal anders.



1 Kommentar:

  1. Das der finanzielle Erfolg, bzw. die professionelle Fotografie (also die mit der man Geld verdient) einem die Lust komplett verderben kann, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich habe genau aus dem Grund auch die Reissleine gezogen. Vielleicht rechtzeitiger als du, denn der Spaß ist dann schnell wiedergekommen und ich fotografiere jetzt mit allem was ich haben kann. Das geht über Smartphone bis hin zu analogen Grossbildkameras. Je nachdem was ich machen möchte. Aber viel wichtiger als der ganze Technikkram ist der Spaß und die Freude daran, die Welt - genauer die eigene Welt - wieder fotografisch zu entdecken. Mit welchen fotografischen Mitteln ist zweit- wenn nicht drittrangig :-) PS: Das bin doch ich da auf dem Foto! Der Typ mit der guten alten Canon 350D in Hamburg! Das waren noch Zeiten. Muss ca. 2005 oder 2006 gewesen sein :-)

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