Mittwoch, 21. August 2019

Gegenwind


Gegenwind ist lästig beim Radfahren, zuweilen unerträglich im Leben. Auf dieser Tour hatte ich pausenlos Gegenwind aber auch schon das ganze Jahr bläst der Wind des Lebens von vorne. Gegenwind sortiert, Gegenwind macht stark, Gegenwind schärft den Blick für schützendes Gebüsch. Nach zwei Todesfällen in der Familie in diesem Jahr, hätten wir uns einen schönen Urlaub verdient, aber der Gegenwind kann gnadenlos sein. Nach anstrengender Fahrt in den Südosten Europas, just als der Urlaub beginnen sollte ereilten uns Nachrichten von schwerer Krankheit und großer Not und wir machten uns sogleich auf den Rückweg. Am Ende stand wieder der Tod. Der Gegenwind hört nicht auf.



Dem aufmerksamen Betrachter fällt vielleicht die neue Karte auf. Der Betreiber von GPSies hat angekündigt, nach vielen Jahren, seinen Dienst einzustellen und die Daten an eine amerikanische Firma weiter zu geben. Dies ist zunächst einmal nicht verwerflich, die Webside war arbeits- und kostenintensiv, schade nur, dass es offenbar webweit keine Alternative zum einbetten und präsentieren  von gpx Dateien gibt. Außer, ja da staunt man nicht schleicht, bei Google. Schade, aber nun ist es so, ich möchte nicht gänzlich darauf verzichten. Klaus Bechtolt von GPSies einen recht herzlichen Dank von mir, für die jahrelange großartige Arbeit.


Koma, man kann nichts tun, nur warten. Eine ganze Urlaubswoche nur warten? Dann kann ich mich auch aufs Rad setzen und fahren. Doch schon bei dem Gedanken kommt innerer Gegenwind auf. Neben dem üblichen Schweinehund, der Bewegung generell ablehnt, schwingt noch am Rande ganz dezent so etwas wie die Angst vor dem Alleinesein, und vor dem, was alles passieren könnte, und vor dem, was alles nicht passieren könnte. Erfahrungsgemäß absoluter Blödsinn, der schon nach wenigen Minuten on the road verschwindet, aber sich bei jedem Mal erneut anschleicht.



In Hamburg los fahren war mir zu fad, tausend Mal in jede erdenkliche Richtung davon gefahren, wollte ich etwas neues sehen. Sonntags morgens mit dem Metronom nach Bremen ist kein Akt und kostet wenig Geld. Eine Stunde und man ist in einer anderen Welt. Ein Kaffee bei Sonnenschein vor dem Bremer Hauptbahnhof, ein wenig dem Treiben zusehen, ich konnte mich kaum losreißen. Geplant war nicht viel, stramm nach Westen, Richtung niederländische Grenze, nichts gebucht, jajaja, natürlich hatte ich einen GPS Track, aber eher so als Empfehlung.


15:00 Uhr, Erdbeerkuchen, Lingen dürfte ich noch schaffen, mein booking.com empfahl einiges, ich nahm das günstigste und war alles andere als enttäuscht. Zum Abendessen stand noch ein Fußmarsch von 3 km an. Gut - ich liebe langsames Gehen nach langem Radfahren, das entspannt so herrlich. Nein, zu essen gebe es nichts mehr, sagte der Kellner im einzigen Gasthof vor Ort, das sei jetzt zu spät. Von Gegenwind ließ ich mich heute nicht mehr deeindrucken und furchtbaren Hunger hatte ich auch. Ich schlich also zur Küche (in der noch fleißig gewerkelt wurde) und erzählte dem Koch, ich sei von Hamburg hier her gekommen, mit dem Fahrrad, und ausschließlich um seine Kochkunst zu loben. Jo, da kann man wohl nicht anders. Ein Schnitzel mit Fritten und frischen Pilzen könne er mir noch zaubern. Hatte ich je etwas anderes gewollt? 


Ruhige Nacht, Frühstück beim Bäcker, 40 km bis zur niederländischen Grenze. Wie schon Gestern, auch heute und um es kurz zu machen auch morgen und übermorgen - Gegenwind. Ich war redlich bemüht Nordhorn etwas schönes abzugewinnen, sogar stehengeblieben bin ich mal,  es war mir nicht vergönnt. Hinter der Grenze die Offenbarung: so muss Radfahren! Durchgehend breite Radwege, beidseitig, außerorts weitestgehend 60-Zonen für den Blechverkehr, kein Drängeln, kein Schneiden, kein zu enges Überholen, knapp 90 km Holland waren ein Genuss bis.... 15 km vor dem gebuchten Ziel, eine Windhose ließ rostroten Staub bei in den Himmel steigen, es grollte heftig, dann blitze es beängstigend und fing sogleich an zu schütten. Ich kauerte an der Wand einer Scheune und schaute dem Spektakulum zu. Als das Gewitter abgezogen und satter Landregen eingesetzt hatte, entschloss ich mich weiter zu fahren. Die Aussicht auf eine baldige heiße Dusche und ein Abendessen waren zu verlockend, als das ich noch eine weitere Stunde oder länger hätte warten wollen. Es ist wie beim schwimmen im Meer, wenn man einmal drin ist, dann ist es wunderbar. 

Auch am nächsten Tag zog es mich wieder nach Holland. An der Maas entlang immer Richtung Süden. "Pannenkoeken met Stroop und Koffee Verkeert" bestellte ich, mein Niederländisch ist in den elementaren Bereichen perfekt. Auch Perfekt war der Blick auf die Maas und der Sonnenschein, der auf der Haut kitzelte. So saß ich lange bei meinem falschen Kaffee und schaute der Fähre beim fähren zu, während sich genau hinter mir tiefschwarze Wolken auftürmten. Das aber merkte ich erst bei den ersten Tropfen. Von nun an trieben mich die Wolken vor sich her um mich, beim queren der Maas mit einer kalten Schauer zu erwischen. Das gleiche Spiel wie gestern, 15 km im Regen, heiße Dusche und alles wird gut. 

Letzte Nacht, die Unterkunft bewusst teurer gewählt, es war die schlechteste, letztes Abendessen, bewusst opulenter gewählt, es war das schlechteste, die Gallensteine quälten mal wieder, Gegenwind. Warum tut die rechte Zehe eigentlich so weh, da müsste man mal nach schauen. Großzehen sind so weit vom eigentlichen Körper weg, das vergisst man dann auch leicht wieder, das Schauenmüssen. 
Die letzte Etappe hatte ich bewusst kurz gehalten. 70 km bis zu meinem Heimatort in der Eifel, das dürfte keine Problem sein. OK, Gegenwind, und dann ist da noch dieser Berg, der Rotter Berg. Wenn man in Hamburg los fährt, dann hat man den Rotter Berg schon vor Augen. Warum? Ganz einfach, es ist der einzige Berg und es ist der Berg, den ich als Kind schon nicht hochfahren konnte, weil er zu steil war. 


Zugegeben, er ist wirklich steil und gemein, denn er wird im Verlauf immer steiler. Aber klar, ich wusste, ich würde mir die Blöße nicht geben, auch nicht mit einem 17 km Massivstahlrad, auch nicht mit Gepäck, auch nicht bei Gegenwind und nein, auch nicht wenn keiner zuguckt. Absteigen ist für Looser! Am Ende war ich dann ganz erstaunt, dass dieser riesige Berg nur 280m lang war, 280m von 500 km.  


Zuhause! Wanne! Endlich Zeit mal nach der Zehe zu schauen. Achdusch.....! Gegenwind!