Donnerstag, 18. Oktober 2018

...wo laufen sie denn?




Nachdem der Mega-Sommer 2018 für Draußenmenschen keinen Anlass zur Trübsal geboten hatte war Mitte Oktober noch einmal ein "echtes" Sommerwochenende mit Tagestemperaturen von mehr als 25°C und strahlend blauem Himmel angekündigt. Und plötzlich war sie da, die Qual der Wahl. Nutze ich das zudem windstille Wetter noch einmal für ausgedehnte Radtouren, oder begebe ich mich, den Rucksack geschultert, auf Schusters Rappen? 


Da noch ein Fahrradurlaub kurz bevor steht, war die Entscheidung schnell gefallen, der Rucksack genau so schnell gepackt und die "Else" als Basislager auserkoren. Im virtuellen Gepäck die GPX Tracks für den Hinweg vom Bahnhof Dahlenburg, eine ausgedehnte Tageswanderung zum Telegrafenberg, zwei Halbtageswanderungen und den Weg von der "Else"  zum Lüneburger Bahnhof. 


Ein wenig schwierig gestaltete sich die Planung, waren doch, so hatten Exkursionen in den letzten Wochen schon erkennen lassen, zu meinem Erstaunen, gefühlt 2/3 aller Pfade und Wege in der Ostheide in keiner Karte verzeichnet. Weder topografisches Kartenmaterial noch die einschlägigen Online Portale gaben brauchbare Auskünfte. Lediglich der dicke Mann mit dem Dackel, den ich am Montag auf meinem Weg nach Lüneburg traf, wusste bescheid: Das sei alles das Militär schuld und überall seien versteckte FLAG-Stellungen, man müsse nur genau hinschauen, dann würde es einem wie Schuppen von den Augen.....und die Bienen würden ja auch sterben und da sei, das habe ich jetzt leider schon wieder vergessen, dran Schuld und das Wetter sei auch.....ich war einem echten freilaufenden Verschwörungstheoretiker in die Arme gelaufen - eine sehr aufschlussreiche Begegnung. 


Doch zurück zu meinem Wanderwochenende, am Freitag Mittag, phasenweise bin ich ja nicht der ganz frühe Vogel, ging es mit der Wendlandbahn nach Dahlenburg. Schon die gemächliche  Fahrt durch die Wälder der Ostheide macht Lust auf Natur. Eine gute Stunde vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt verlässt man den Zug an einem Bahnhof, der zwar ein (ehemals) prächtiges Empfangsgebäude vorweist, zu dem jedoch nicht einmal eine asphaltierte Straße hinführt. Dahlenburg, ein Flecken, oder "Minderstadt" wie Wikipedia weiß, liegt ohnehin drei Kilometer enfernt. Dahlenburg lassen wir auch dieses Mal aus und wandern zunächst über asphaltierte Kreisstraßen, später dann über sandige Waldwege Richtung Nordwesten, Richtung Radenbeck. Wilde Äpfel am Wegesrand kitzeln den Gaumen, noch nie habe ich solch "apfelige" Äpfel gegessen und der Duft von Millionen frisch geernteter Zwiebeln kitzelt betöten die Nase. Das war ein schöner Einstieg in das Wochenende.


"Else" an Strom und Gas anschließen, im "Heidelädchen" noch ein paar Vorräte einkaufen und der Tag war auch schon gelaufen. Einen Happs essen und in die Falle. Lotte räkelte sich genüsslich an meinen Füßen und ich betrachtete durch das Panoramafenster über meinem Bett noch eine Weile die Sterne am tiefschwarzen Himmel. 


Früh begann der Tag, kühl begann der Tag, der zur Hochzeit noch einmal die 30°C Marke kratzte. Frische Brötchen aus dem Heidelädchen, eine Flasche Zuckerhaltiges, ein paar Bonbons und schon bald stapften wir los. Der Telegrafenberg war das Ziel. Nicht, dass ich gewusst hätte, was uns dort erwartet, aber man muss ja irgend ein Ziel haben und Telegrafenberg klang halt spannend. 



Schon viele Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte bin ich nicht mehr so eine weite Strecke am Stück gegangen. Ein wenig Respekt hatte ich schon davor und dann noch die Frage, ob Lotte das mit ihren kurzen Beinchen auch hin bekommt. Recht schnell stellte sich heraus, das nicht die kurzen Beinchen zum Problem werden würden, sondern mangelndes Trinkwasser. Wie gesagt, ich hatte nur Energiespendende Zuckerbrühe dabei, nichts für einen Hund und zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass alle Bäche und Tümpel auf dem Weg, dem langen heißen Sommer geschuldet, trocken gefallen waren, kein Tropfen für das Tier weit und breit. Ein Fischteich an der Neetze war unsere Rettung und herrlich zu beobachten, dass man sich wohl keine Sorgen machen muss, ob vorhandenes Wasser vom durstigen Hund auch gefunden würde - lange bevor das Nass in Sichtweite kam hatte die Nase schon Witterung aufgenommen und beschleunigte den Hund merklich. 


Jenseits von Thomasburg ging es steil bergan und es tat sich manch feiner Blick über die einsame Heidelandschaft auf. Sandiger Untergrund machten das Vorankommen beschwerlich und derweil war es auch richtig heiß geworden. Die längere Pause an unserem Ziel war bitter nötig. Schuhe aus, Füße lüften, Stulle essen - ob hier jemals ein (optischer) Telegraf gestanden hatte, war nicht herauszufinden. Ein Grenzstein auf der Anhöhe, von 1847, markierte das einstige Revier von "EAR", Ernst August Rex, König von Hannover. 


Hätte Ernst August wohl kaum vermutet, das ihn 170 Jahre später keine Sau mehr kennt, hätte niemand gedacht, dass man vom Königreich Hannover nur noch in Geschichtsbüchern lesen kann - vermutet gerade niemand, das Deutschland in ein paar Jahrzehnten auch auf dem Scherbenhaufen der Geschichte liegen wird, sinnierte ich im Schatten des Steines - wäre eher normal denn außergewöhnlich. 


Der Rückweg war nicht minder anstrengend, wenn auch ein wenig kürzer. Ein Hofcafe lag noch auf dem Weg. Wir ließen uns nieder und harrten der Bedienung. Nach 10 Minuten fragte ich die Dame, die am Nachbartisch hinter einer Cola saß und Löcher in die Luft starrte: "Wird man hier bedient oder muss man sich das selbst holen?" -  "Weiß ich nicht!" war die erstaunliche Antwort. Ich wollte dann nicht mehr vertiefen, wie sie wohl an ihre Cola gekommen sei, sondern verließ das Areal ein wenig dickköpfig, wie es bei Nichtbeachtung in gastronomischen Betrieben so meine Art ist. Gefundene Kartoffeln, angebraten mit vom Trecker gefallenen Zwiebeln an Bockwurst gab es am Abend. Köstlich! Alles wäre köstlich gewesen, aber das war besonders köstlich. 


Den Sonntag verbrachte ich, bei herrlichem Wetter, jedoch nicht, ohne vorher einen ausgiebigen Spaziergang gemacht zu haben, und nach, wie immer,  exzellentem, vegetarischen Frühstück im Heide Café, in einer Liegematte, im campingplatznahen Wäldchen, abwechselnd mit schlafen, Kekes essen und denken. Stimmt da jetzt die Interpunktion? Puh! Also, Herbst, prächtigstes Wetter, Lüneburger Heide, eine der beliebtesten Wanderregionen Deutschlands und auf nun schon mehr als 50 Kilometer Strecke sind mir exakt zwei Menschen begegnet? ZWEI an drei Tagen. Da neigt man doch dazu, mit Dieter Hallervorden zu Fragen:"Wo laufen sie denn -  ja wo laufen sie denn??" um zu dem Ergebnis zu kommen: "Ach ist der Rasen schön grün!" Der klassische "Heidewanderer" fährt halt mit seinem B-Klasse Mercedes die einschlägigen "Heidefressbuden" ab und ordert Lammkarree vor Sahnetorte, in den Wald und auf die Heide scheint sich niemand zu verirren, womit ich ganz ehrlich gesagt nicht besonders unglücklich bin, so kann man sich das lästige Grüßen sparen. Sonne runter, Rehlein raus, Hängematte einpacken, Miracoli. Die schmecken noch genau wie vor 30 Jahren und in der Zwischenzeit hatte ich auch keine mehr gegessen. Zum Glück erinnerte ich mich noch daran, das Oberhemd auszuziehen. Miracoli machen hässliche Flecken, damals wie heute. 


Frühstücken, spülen, aufräumen, fegen, Strom abklemmen, Gashahn zudrehen - das wars. Nur noch bis Lüneburg gehen, auch nicht gerade um die Ecke, aber wenn schon wandern, denn schon wandern.



Montag Abend hatte ich dann fast 80 km auf dem virtuellen elektronischen Pedometer. Eine stramme Leistung, wie ich fand und auf das kleine, nunmehr stinkende und arg verklebte Hündchen war ich ganz schön stolz. Es war ein herrliches Wochenende und ich muss gestehen, wandern ist eine ernstzunehmende Alternative zum Fahrrad fahren.