Samstag, 2. Januar 2021

Outsider


Outsider, Außenseiter, eine nicht in die Gesellschaft integrierte Person, die Bedeutung ist mir durchaus bewusst. Ich verwende den Begriff im Folgenden für jemanden, der gerne draußen ist, sich freiwillig und gerne den Elementen aussetzt, sich Landschaften ergeht oder erfährt, Freude an Bewegung hat und in jedem Moment voller Neugier und mit Entzückung seine Umgebung wahrnimmt. Was dieser "Draußenmensch" mit dem Außenseiter zu tun hat, warum das Eine, das Andere möglicherweise bedingt, darauf möchte ich später noch eingehen.


Ich glaube, man kann es sich nicht wirklich aussuchen. Ich glaube, ich habe es von meinem Vater geerbt. Die dazu passende Anekdote geht wie folgt: Anfang der 70er Jahre hat mein Vater 3 Jahre in einer Glasfabrik gearbeitet. Der Verdienst war gut, die Arbeit ordentlich, eigentlich war es ein rundes Ding und man hätte dort mit diesem Job alt werden können. Papa jedoch erzählte, er habe in dieser Zeit immer wieder und sehr gerne die Toilette aufgesucht. Der Grund dafür war, die Toiletten hatten Oberlichter, durch die man den Himmel sehen konnte. 1972 hat mein Vater dann wieder Arbeit unter freiem Himmel angenommen - deutlich schlechter bezahlt, anstrengender. Von jener Zeit an hat er bis zur Verrentung nie wieder in einem geschlossenen Raum gearbeitet. 

Man beschließt also nicht ein Outsider zu sein, man ist es einfach. In meinem Leben gab es nur wenige, kurze Phasen, wo ich mich dem abgewandt habe. Meist hatte dies mit Partnerschaften zu tun oder war arbeitsbedingt, unter der Oberfläche glühte das jedoch stets weiter. Viele Menschen gibt es nicht, die so gestrickt sind, im Gegenteil, ich glaube es ist eine kleine Minderheit.


Der Mensch ist ein soziales Wesen, das Bedürfnis, schönes Erleben mit Anderen zu teilen ist tief verwurzelt. Hier bin ich nun an dem Punkt gekommen, an dem es kompliziert wird, sehr kompliziert. Entstehen die Momente höchsten Glückes doch im Prinzip erst bei Abwesenheit Anderer. Nein, dies ist nicht der Grund, aber wesentlicher Bestandteil der Rezeptur. Das Rudel Rehe auf Tuchfühlung taucht nicht plötzlich auf, wenn man im regen Austausch durch den Wald stapft. Der scheue Dachs ist an menschlicher Konversation ebenso wenig interessiert. Den kleinen Pilz der auf dem Pilz der auf dem Pilz wächst sehe ich nicht wenn ich mich nicht ganz weit hinunter beuge, auf den wundervollen Lichteinfall bei Nebel im Wald achte ich nur, wenn ich mit mir alleine bin. Sanfte Brisen, das prickeln der Sonne auf der Haut, Wind im Haar, das Gefühl von Kraft und Stärke, genüssliche Erschöpfung, all das kann ich ohnehin nur selbst wahrnehmen. Andere Menschen sind bei diesen Erfahrungen bestenfalls Ablenkung, im allgemeinen jedoch Verhinderer. Liegt der Focus nicht 100% auf das da draußen, dann ist das Erlebten mangelbehaftet. Es ist eine schmerzliche Erfahrung, wenn man herausfindet, dass die Momente, die einem das Leben so lebenswert erscheinen lassen, am Ende niemals teilen kann. 


Wir sind exzentrische Menschen. Ich kenne einige, wir mögen uns. Jedoch auch schon vor der Corona Zeit hielten wir stets den nötigen Abstand, eben genau diesen Abstand, der zwar Verbundenheit  und Gemeinschaftlichkeit erlaubt, aber das persönliche Erleben nicht stört. Man findet sich, nonkonformistisch, kreativ, durch Neugier motiviert, idealistisch, mit seinen Steckenpferden, sich durchaus seines Andersseins bewusst. Intelligent, eigensinnig, jedoch ohne Konkurrenzstreben, nicht sonderlich interessiert an den Ansichten der Gesellschaft, vom eigenen Standpunkt überzeugt und oft ausgestattet mit einem schelmischen Sinn für Humor. Soziale Netze haben die Möglichkeiten des Austausches auf Abstand deutlich erweitert, die gefühlte Mängel-Lage reduziert. Den wenigsten ist das Glück beschieden, eine(n) Partner(in) gefunden zu haben, der/die einen immer wieder dort abholt jedoch auch merkt, wenn es an der Zeit ist, einen wieder hinaus ziehen zu lassen. Glück gehabt! Trotzdem, man ist und bleibt ein Outsider.