Sonntag, 25. Juni 2017

Heute hier, morgen dort...

"bin kaum da, muss ich fort
hab´mich niemals deswegen beklagt
hab´es selbst so gewählt
nie die Jahre gezählt
nie nach gestern und morgen gefragt."












Bemerkenswert ist, dass, wenn man sein gesamtes Leben auf den Inhalt zweier kleiner Packtaschen schrumpft und einfach mit dem Fahrrad los fährt, der Alltag sich blitzschnell in den unendlichen Weiten auflöst. Nichts, was sonst den Tag bestimmt, geht mit auf Reisen, schon nach wenigen Metern ist man in einer ganz anderen Welt. Nach wenigen Stunden verlässt mich das Zeitgefühl und bald weiß ich auch nicht mehr so recht, wann ich wo und wo ich überhaupt war, und wie es dort war. Man kommt dem Hier und Jetzt schon recht nahe, bei dieser Art zu reisen. Arbeit, Haus und Hof, Freunde, scheinbar nötiges und auch unnötiges bleiben zurück und weichen einer offenen Freiheit des Seins. Ich möchte hier auch gar keinen Reisebricht schreiben. Wenn ich auf die Karte schaue, dann denke ich spontan: "Ach? Da war ich überall? Wow!"




Sicherlich ist eine Radreise durch die norddeutsche Tiefebene alles Andere als ein Abenteuerurlaub, jedoch scheint die Art zu Reisen noch immer viele Menschen abzuschrecken. Ein bisschen sollte es schon wie zu Hause sein, schön und aufgeräumt soll es sein und die Aufregungen dürfen sich bitte in eng gesteckten Grenzen halten. Meine Reisen bestehen meist aus Reisen, Ankommen, Chaos und Aufbruch und Reisen, wobei man das Chaos durch weniger Gepäck minimieren kann. Drei Wochen Urlaub an einem Flecken wären für mich eine Qual, einfach nicht auszudenken, verschwendetes Geld.



Die Anmerkung eines treuen Lesers: "Da hattest du aber schon schönere Unterkünfte" hat mich ein wenig zum Nachdenken gebracht. Was ist denn eine "schöne" Unterkunft? Ich würde lieber den Fokus von "schön" auf "zweckmäßig" legen. Klar, ruhiges Luxuszimmer mit Meerblick wird wohl nieman verschmähen, andererseits sind das wohl Perlen für die Säue. Der Anspruch liegt bei Funktionalität und Bezahlbarkeit, doch wie sieht das im Detail aus?




Problematisch gestaltet sich schon das Finden. Leider ist mir noch kein Portal über den Weg gelaufen, auf dem man schnell und unkompliziert Unterkünfte, die auf meine Reisegewohnheiten zugeschnitten sind, buchen kann. Funktional ist Booking.com nahe dran, einfaches schnelles stöbern, unkompliziert buchen und bezahlen, oftmals kostenfrei stornierbar, zuverlässig. Die Nachteile: da ist längst nicht alles drin, oft teuer, Abstellmöglichkeiten fürs Radel lassen sich nicht klären, Ausweichquartiere in 30 km Entfernung leider nicht praktikabel.




Aber wie sieht sie denn nun aus, diese Ideale Unterkunft? Schnelles und einfaches Buchen wurde schon erwähnt. Die Lage am Endpunkt der Tagesetappe ist unabdingbar, man ist schließlich nicht so flexibel wie mit einem Auto. Freundliches Personal, unkompliziertes Einchecken ist wunderbar. Regenwassertriefend, Gepäck auf der Schulter, hungrig, durstig endlose Formulare auffüllen bevor man den Zimmerschlüsse ausgehändigt bekommt (vor zwei Jahren noch erlebt) ist wirklich nicht lustig. Exemplarisch fast perfekt auf dieser Reise war das Hostel in Bremerhaven. Großzügiger Fahrradabstellraum mit Werkstatt, eine sich selbst öffnende Haustür, Chipkarte für die Zimmertüren, offene Regale statt muffiger Kleiderschränke, Steckdosen wo man sie benötigt, ein ordentliches Bett, kostenloses W-Lan, Supermarkt gegenüber, angemessener Preis und sehr freundlichem Personal. Aber auch andere Unterkünfte wussten zu überzeugen: Fahrrad abends einfach ins Zimmer schieben (Wilhelmshafen), Boxspringbett (Didtzumerverlaat), exzellente Küche (Nottuln), großzügiges voll ausgestattetes Appartement (Lingen) oder zweckmäßige Ausstattung und gutes Frühstück (Rulle).




Insgesamt kann man sagen, wir hatten dieses Mal richtig Glück mit all unseren Unterkünfte. W-Lan zur weiteren Reiseplanung, günstig eine Flasche Wasser kaufen, Wäsche auswaschen und trocknen, ein gutes Bett und ein gutes Frühstück, ein sicherer Stellplatz fürs Fahrrad ausreichend Nachtruhe, das sind die Basics. Für die wenigen Stunden des Aufenthaltes kann ich gerne aber auf so manchen Luxus verzichten. Fernsehen? Schuhputzautomat? Sauna? Zimmerservice? Schöne Aussicht? So what?



Und die Reise? Eine Abfolge von Milliarden aufregender Momente die einfach da sind und die man für immer im Herzen bewahrt. Bei aller Mühsahl sind es diese kleinen Dinge, die immer wieder den Aufbruch lohnen. Fischfutter in einer Hafenkneipe in Bremerhaven - witziges Treiben vor dem 24/7 Supermarkt am späten Samstag Abend - endlose Industrieweiten am Weser-Jade-Port - Schlick (Watt) im Jadebusen - Salzwiesen - Millionen Schafe vor Wilhelmshaven - die Perlenkette der Ostfriesischen Inseln - Schwäne am Horizont bei Sonnenuntergang - Klappbrücken - Drehbrücken - Fähren - Niemandsland - Möwengeschrei - Dollart - Ems und Kanäle - unglaubliche Pannen - nette Mensch die hilfreich plötzlich da sind - unverschämt gutes Wetter - Wind von vorne - Wind von hinten - gleißende Hitze - geruhsamer Schlaf und immer wieder Schaf.



Und irgendwann, ungefähr eine viertel Millon Pedalumdrehungen später, ist es dann zu Ende. Mit einer kräftigen Schauer teilte mir das Wetter mit, dass es nun gut sei. Nach Hause kommen, eine Wanne heißes Wasser, Tee, erzählen, etwas unruhig schlafen. War es das wirklich? Fast schon fiel es mir schwer, heute nicht aufs Rad zu steigen, aber planen kann man schon mal wieder, der Sommer hat ja gerade erst angefangen :)




"manchmal träume ich schwer
und dann denk´ich es wär´
Zeit zu bleiben und nun´
was ganz and´res zu tun
so vergeht Jahr um Jahr
und es ist mir längst klar
das nichts bleibt
das nichts bleibt wie es war!"
Hannes Wader

Freitag, 9. Juni 2017

Land zwischen den Meeren


Itzehoe neun Uhr dreißig: Frühstück unter einem auch als Regenschirm gute Dienste leistenden Sonnenschirm. Nee, irgendwie wollte sich nicht die rechte Radelstimmung einstellen und so tranken wir den Kaffee sehr sehr langsam und kauten etwas missmutig auf einem Weizenbrötchen mit Marmelade Irgendwann muss man dann mal los, schließlich will man ja auch irgendwann mal irgendwo ankommen. Irgendwo war in diesem Fall Schleswig, aber dazwischen lagen noch satte 190 km. 



Irgendwann würde es aufhören zu regnen. Irgendwann war jedoch später als erwartet. Ohne Schutzbleche wird man da sowohl von oben als auch von unten nass, doch auch hier gilt die Weisheit: "Wenn man einmal drin ist, ist es gar nicht so schlimm."  Schlimm war eher der permanente steife Wind, der uns bis Husum hinaus entgegen blies. Auf der Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal war es noch grau, kurz darauf riss der Himmel auf und es wurde sofort ansatzweise heiß (zumindest unter der Regenjacke).


Wir waren zu zweit unterwegs, ein fast schon eingespieltes Team. Reden muss man nicht viel, jeder hat den Track auf seinem GPS Gerät und weiß wo es lang geht. Heide in Holstein umschifften wir südlich, Stunde um Stunde voran, Zeit für einen Blick auf das frische Grün und das luftige Blau. Unsere erste große Pause gönnten wir uns, vom Gegenwind merklich erschöpft, am Eidersperrwerk. Unerwartet bog ein Rudel Liegeradfahrer ums Eck, wir tauschten ein paar Sätze, das eine oder andere Gesicht war bekannt, die Community ist klein, 0,7 Promille aller Fahrräder sind Liegeräder. 


Seeschwalben und Lachmöwen brüten auf dem Sperrwerk gleich neben dem Touristenstrom. Mangels anderer Steilküstenähnlicher Begebenheiten an der kompletten Westküste Schleswig-Holsteins, mutmaßten wir. Warum sollten sie sich sonst diesen Stress antun? Und Stress gab es genug. Das Getier zeigte sich wehrhaft dem gegenüber, der es wagte (wenn auch zufällig) zu nahe an ein Nest zu treten. Kaffee, Fischbrötchen, Pommes, Kuchen, Cola....die Anderen waren auch schon da. 


Wir folgten der Eider ein Stück weit und bogen ab nach Husum. 18:00 Uhr, deadline die Unterkunft zu kündigen. Wir überlegten kurz. Nein, es war einfach zu schön und ab jetzt gab es Rückenwind satt. Das nichts zwischen den Meeren gefiel mir in der warmen Abendsonne ungemein gut. Wir flogen dahin von Ort zu Ort - nichts was einen passionierten Radfahrer hätte noch glücklicher machen können. 


Fast 21:00 Uhr war es, als wir beim Hotel "Hohenzollern" auf den Parkplatz rollten. Heitzdecken- und Schnellkochtopfverkaufsathmosphäre - hier hätten meine Großeltern in den 70ern schon gewesen sein können, und das Beste: seither hatte sich offensichtlich nichts geändert. Meine Abendgaderobe war, wohlwollend ausgedrückt, feucht. Die neuen Banana-Racer Seitentaschen von Radical Design sind nicht wasserdicht. Gut zu wissen für die nächste große Tour. 2x 12 Liter Volumen sind nicht gerade üppig, aber es gibt genau keine Alternative dazu, für Liegeräder ohne Gepäckträger. Müllbeutel werden in Zukunft das Mittel der Wahl sein, ansonsten sind die Taschen großartig, man merkt absolut nicht, dass man mit Gepäck unterwegs ist. 


Italienisch bekommt man auch noch um zehn. Die Bedienung saß an einem Tisch, ihr Smartphone vor sich aufgebaut, und plärrte hinein. Was soll´s, Hauptsache etwas zu beißen. Fleisch! Heute unverschämt, da kein Vegetarier unter uns und danach noch ein fettes Eis. Mein Zimmer war fast fensterlos, aber ich wollte ja auch nicht rausgucken sondern schlafen, und das gelang recht gut. 


Frühstück um acht. Strahlender Sonnenschein, warm: Lagebesprechung. Wenn man schon einmal am Wurmfortsatz der Republik ist, dann sollte man diese Tatsache auch genießen und dort oben bleiben. Wir beschlossen der Schlei entlang zu fahren, eine gute Entscheidung. 


Die Landschaft darf man durchaus als gelungen bezeichnen. Sanfte Hügel, immer wieder Blicke auf den Fjord. Kabelfähren, Klappbrücken, die Ortsnamen enden gerne auf "y" und mancher Mensch Muttersprache hier ist das Dänische. Eis in Kappeln, der Kellner war schneller als der Wind. Im Bogen wollten wir nach Eckernförde und landeten in einer Kilometer langen Baustelle, sowohl den Straßenbelag als auch den Belag des Radweges hatte man grob weggefräst - Prost Mahlzeit! 



Konsolidierung bei Currywurst und Pommes in Eckernförde am Strand. Eine Gerissene Messerspeiche bei meinem Begleiter und, es gruselte mich etwas, dicke Bäuche an meinem Hinterreifen. Neun Bar war wohl doch ein Bar zu viel. Ich beschloss, der Reifen würde halten, nur noch 20 km  - diesen Gefallen tat er mir tatsächlich. Ein Blick auf die Ostsee über ein Meer von blühenden Heckenrosen - tres chic. Kurz vor dem Nord-Ostsee-Kanal blieb ich an einer Umfahrsperre Hängen und legte mich ab. Wie ich diese Dinger hasse! Berappen....wo war noch gleich mein Begleiter? Auf der Kanalbrücke in 50m Höhe trafen wir uns wieder. 


Jetzt nur noch der Förde längs bis zum Bahnhof rollen. Mein Mitfahrer zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch wie eine Dampflock in die Luft. Ich fand, es sah ganz schön dekadent aus, und des Weiteren, dass ein Liegerad wohl das einzig aller Räder ist, auf dem man mit Genuss rauchen kann ohne auch nur eineSpur unsportlich zu wirken.