Samstag, 25. Juni 2016

Eifel








Heimat? Heimat ist da wo man wohnt, wo man Freunde hat, Arbeit, sich wohl fühlt. Oder ist Heimat da wo man her kommt, wo man geboren ist? Ich habe es für mich noch nicht endgültig klären können, aber seit langem wollte ich schon eine Reise tun, um der Sache etwas näher zu kommen. 

Geboren und aufgewachsen in der Eifel, das deutsche Sibirien, wie man es liebevoll nennt, ein karger, kalter, nasser, armer Landstrich tief im Westen der Republik. Ich übertreibe nicht. Die Westwinde treiben Wolken vom Atlantik über das flache Belgien und die Niederlande hinweg gegen die erste Namhafte Anhöhe, wo diese, empört von der erzwungenen Steigung beleidigt abregnen. Kalt ist es. In den westlichen Eifeltälern liegt der einzige Punkt Deutschlands (ausgeschlossen Hochgebirge) wo jemals im Juli Minusgrade gemessen wurden. Vielerorts wächst nicht einmal Getreide, Jahrhunderte lang waren Forst- und Viehwirtschaft die einzigen Einnahmequellen der spärlichen Bevölkerung. 

Vor einem viertel Jahrhundert hatte ich diese Heimat verlassen, mal hier mal dort gewohnt, später in Hamburg kleben geblieben und nun wollte ich dieses Heimatland einmal mit dem Fahrrad umrunden, neu entdecken, erforschen, mir wieder nahe bringen.

Die angekündigten glänzenden Wetteraussichten vielen im laufe der vergangenen Woche stückchenweise in sich zusammen, bis ein wahres Sauwetter übrig blieb. Ich wollte es trotzdem. Allein der Pinscher war ein Problem. Alt und kränklich wie er jetzt nun mal ist, hätte ich ihm keine Woche Dauerregen zumuten können. Drauf und dran, das ganze Vorhaben am Morgen des ersten Reisetages abzusagen fand sich erfreulicher Weise noch eine Lösung - auch wenn ich etwas traurig darüber bin - auch diese Reise findet ohne Hund statt.

Die Bahnfahrt nach Aachen begann in vollen Zügen, in Niedersachsen und Bremen haben die Sommerferien begonnen, mit den üblichen Pappnasen im Fahrradabteil sowie den netten freundliche Mitreisenden, die es einem ein wenig leichter machen. Kurze knackige Anfahrt in mein Heimatdorf, nicht ohne auf der Anfahrt ein paar heimatliche, länger entbehrte Köstlichkeiten zu mir zu nehmen.



Besseres Wetter abwartend, und abwartend und abwartend starteten wir dann  nach Mittag, ohne besseres Wetter, zu dritt. Das Wetter wurde nicht besser (aber auch nicht schlechter) es regnete schnurgerade herab. Weinberg- und Nacktschneckenslalom auf zu Radwegen umgebauten ehemaligen Bahntrassen, die wirtschaftlich nie eine Bedeutung hatten, sich aber über mehrere Jahrzehnte immer wieder hervorragend dazu geeignet hatten in kriegerischer Absicht über westliche Nachbarstaaten herzufallen. Nun sind es wie erwähnt touristische Einrichtungen, die durchaus der Völkerverständigung dienen. Es wird eben doch nicht alles schlechter in Europa.

Kurz hinter der belgischen Grenze gabs Kaffee und Kekse bei Marta. Wir triefen, als bekannte Stammgäste durften wir auch drinnen weiter triefen, während aus der Musikbox Abba rieselte. Bergauf nach Sourbroth liegen noch ein paar Gleise neben dem Radweg. Fingerhut in rot, Rittersporn, Lupinien, eigentlich schön aber Regentropfen auf der Brille nehmen mir fast jegliche Sicht. Ich stelle mir vor wie schwere Dampfloks den Berg hinauf schnauben. Als kleiner Junge habe ich das noch erlebt. Einmal hat ein Lokführer beim Rangieren angehalten und ich durfte auf das riesige Stahlross hinauf. Als der Heizer jedoch den Höllenschlund auftat um Kohlen nachzulegen war es bei dem kleine Steppke dann vorbei mit der Freude. Fast wäre ich aus dem Führerstand herab gestürzt in meiner Panik.



Auf 620 Höhenmeter, wo die Trasse wieder auf deutsches Gebiet führt, war die Temperatur auf 11° C gesunken. Übel, vorgestern waren es in Hamburg noch 35°. Der Regen wurde dann am Abend doch tatsächlich weniger, jedoch kühlt man furchtbar schnell aus, wenn im Fahrtwind die nasse Kleidung trocknet. Ein Kaffee und eine heiße Dusche waren ein echtes Geschenk in unserer Unterkunft in Stadtkyll. Beim Abendspaziergang nach einem opulenten Mahl beim ortsansässigen Grieche verabschiedete sich der Tag doch tatsächlich noch mit ein paar Sonnenstrahlen, das lässt hoffen...

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Sonnenschein! Ich muss morgens ein paar Schritte gehen um den Rücken in den "Aufrechtergangmodus" zu bringen. Ein Pinscher ist im allgemeinen dabei sehr hilfreich, zur Not geht es aber auch ohne. Das Frühstück im Hotel ist erwähnenswert gut. Aufbruch, die ersten Wolken ziehen auf - zu dritt dauert es erwartungsgemäß etwas länger, bis z.B. die überlebensnotwendigen Lockenwickler in den Fahrradtaschen verstaut sind.




Der Weg aus dem Kylltal in das Ahrtal war klug gewählt, die unvermeidliche Steigung war moderat und die Straßen wenig befahren. Die Gesamtbilanz war ausgesprochen positiv. Nach Abzug der Mehrwertsteuer ging es deutlich bergab, die Sonne schien und es gab Gratisrückenwind. 


An der Ahr liegt eines der nördlichsten erwähnenswerten Weinanbaugebiet Deutschlands. Die Hänge sind steil und felsig. Als ich noch Alkohol trank, mochte ich den erdigen herben Ahrwein sehr, aber das ist wohl nicht jedermanns Sache. Der Ahrradweg entstand zu einer Zeit, als die parallel verlaufenden Bahntrassen noch in betrieb waren. Er ist zwar sehr gut angelegt, jedoch hätte man sich aus heutiger Sicht die eine oder andere bösartige kleine Steigung sparen können. 


Die Weinorte im Ahrtal waren schon in den 50er und 60er Jahren der Ballermann des Rheinlandes. Massentourismus mit Bussen. Die Gegend war auf Sauftouren eingestellt, schlecht aber billig war die Devise. Die Zeiten ändern sich zum Glück und auch hier gilt in der Gastronomie: wer nichts merkt, den Straft der Reisende. So machten wir auch heute sehr gemischte Erfahrungen bei unsern Kuchenpausen. Holländischer Käsekuchen mit Blätterteig und Zimt, der garantiert noch eine Weile als großartige Gaumenfreude in Erinnerung bleiben wird und mäßige Erdbeeretorte zu unangemessenem Preis von stocksteifem Kellner serviert - die Zeit wird es richten.

Auch gerichtet hat die Zeit den Sessellift in Altenahr. Schon als Kind bin ich hier immer mit meinem Vater hoch gefahren. Ängstlich, ich hatte immer Angst vor so etwas. Als Erwachsener habe ich sie immer mitgenommen, als Beweis, dass ich es noch kann. Bis heute, das war schon ein kleiner Stich, er steht und rottet vor sich hin.


!6:00 Uhr - Ankunft dort, wo das beste Mineralwasser der Welt aus tiefem Vulkangestein quellt. Auf vieles kann ich verzichten, aber Mineralwasser aus der Eifel muss sein. Jeder Schluck ein Schluck Heimaterde. Nun Auszeit, ich habe meinen Mitreisenden versprochen nicht beim Fußballgucken zu stören, ich kann nämlich gar nicht Fußballgucken, ich habe noch nie ein Fußballspiel gesehen.



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Die Magenschmerzen der letzten nacht waren zu 49% eigener Dummheit und zu 51% einer Pizza, Creme Brullé, einer Tüte Chips, einer Tüte Gummibärchen und einem Eis geschuldet. Auch dieses Weh hatte jedoch sein Gutes. Ich konnte die Stille der Nacht im Herzen der Stadt genießen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören.





Das Frühstück gab es außerhäusig. Danach hatte die 91 jährige Wirtin ausreichend Zeit mir zu erzählen wie es früher war, während ich auf meine Mitreisenden wartete. Bis zum Rhein war es ein Katzensprung. Die Ahr war in den letzten Tagen massiv über die Ufer getreten, der Rhein war noch dabei und hatte jede Menge Schlamm und Unrat angespült, was das Vorankommen erschwerte und stellenweise unmöglich machte. All überall fanden sich Sperrschilder am Rheinradweg, jedoch gab es nirgendwo eine Umleitungempfehlung. Man hätte den Eindruck bekommen können, der Rhein sei zum allerersten Mal über die Ufer getreten. So bahnten wir uns also unseren Weg durch Industriegebiete und an vielbefahrenen Bundesstraßen entlang und tauschten mit entgegenkommenden Radreisenden Hochwasserstände und Ausweichempfehlungen aus - Radfahrer ist halt flexibel.






Vorbei an der Milliardenruine des AKW Mühlheim-Kärlich erreichten wir Koblenz, immer mit Blick auf das gegenüberliegende Rheinufer, an dem es offenbar ausgiebig regnete. Von diesem Ungemach blieben wir auch heute weitestgehend verschont.



Die "Liesel", eine klitzekleine Personenfähre, befördert seit 1949 Rad und Reiter über die Moselmündung als Deutsche Eck. Schwupps war mein Roß auf dem Boot, meine Begleitung machte kehrt, zu unsicher befanden sie, das Schiffchen könnte ausgerechnet im Frühsommer 2016 absaufen und da wäre man nicht gerne dabei gewesen. Nepp am Eck, wie erwartet, auch die Scharen Ostasiaten waren erwartet und ich auf meinem Liegerad war ein bliebtes digitales Erinnerungsstück, das dank W-Lan oder mobilem Internet sicherlich schon längst am Pazifik weilt. 



Gutes Stichwort, meine heutige Unterkunft bietet weder noch aber einen Schacht. Einen Lichtschacht der fast ausreichend Tageslicht hinein ließe, dass man tagsüber die Zimmerbeleuchtung nicht anschalten müsste. Lärm strömt hingegen fast ungehindert ins minderbehagliche Innere, Lärm sowohl von Straße (vor dem Haus), als auch von Bahn (hinter dem Haus) und von Kindern (neben dem Haus) - alles akribisch erhöhrt, man sieht ja nichts. Die Dusche am Ende des Ganges, lieferte, nachdem ich sie endlich gefunden und im dritten Anlauf auch mein Duschgel dabei hatte, fast lauwarmes Wasser, aber immerhin in 5 verschiedenen Strahlvariationen. Diese Unterkunft rangiert jetzt schon auf meinen Hitlisten ganz weit vorne, obwohl das Frühstück noch ansteht.

Abendessen deutschfettig, aber immerhin mit offenem W-Lan. Nun sitze ich vor der Tür auf einer Bank, sowohl in Reichweite als auch mit Blick auf die Mosella. Manchmal ist das Leben so wie man es sich macht.

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Wir kamen gut voran, da das Frühstück erwartungsgemäß nicht sehr belastend war. Man kann den Moselradweg lieben oder hassen, beides hat eine Berechtigung. Die Landschaft ist gar lieblich, der Verkehr meist ätzend und wenn das Tal ab und an zu eng wird, dann kommt auch beides zusammen.


Burgen gibts an jeder Ecke und die muss man sich natürlich ab und an mal ansehen, einige zumindest. Dieses ansehen war auch der Grund, warum sich unsere kleine Dreipersonenguppe kurz vor Mittag aus den Augen verlor. Diverse Versädigungsprobleme und Mobilfunkstörungen ließen diesen Zustand bis zum späten Nachmittag andauern. Macht ja nix, man kann sich nicht groß verfahren an solch einem Fluss, also kommt man irgendwann wieder zusammen. 


Also zog ich alleine durchs Tal. Vor einem Dorfladen saßen zwei äältere Damen, die sich im moselfränkischen Dialekt unterhielten. Schwer zu verstehen für mich, die Eifel ist sprachlich zweigeteilt, der Norden spricht ripuarische Dialekte, der Süden wie gesagt moselfränkisch. Mit dem Finnen, den ich an einer Fähre traf, klappte die Verständigung erstaunlich gut. Wie man solche Fahrräder denn nenne, und ob sein Fahrrad ähnlich schlammig aussehe, wenn er den Weg weiter fahren würde. Auf der Fähre war ich der einzige Fahrgast. Der Fähremann war Baujahr 67 und die Fähre auch. Im Ort gebe es einen Bäcker wenn man einfach geradeaus führe. 


Mittagspause - ich beschloss zu warten. Eine Frau mit Schlüssel näherte sich. Rhabarberzunge, Mohnsritzel und Nussecke. Filterkaffee müsse sie erst aufsetzen und wie viel ich denn trinken wolle. Ja, ich könne auf dem Dorfplatz sitzen bleiben, sie würde mir das dann raus bringen. Muss ich erwähnen, dass es mir bei all diesem Komfort prächtig erging? 


Das Wetter war warm, bewölkt und trotzdem Sonnenbrandträchtig. In Traben-Trabach traf unsere Gruppe wieder zusammen, über den weiteren Tagesverlauf gingen die Meinungen jedoch auseinander. Das Spektrum reichte von "Weiß ich nicht" bis "Ist mir egal". Erstaunlich, wir fanden trotzdem eine Unterkunft und wurden richtig Satt wurden wir auch.

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Das Frühstück bestand aus Fleischwurstvariationen. Fleischwurst mit Pilzen, Fleischwurst mit hartgekochtem Ei, Fleischwurst mit Paprika und Fleischwurst mit Fleischwurst, obendrauf zwei ganze Tomaten - fertig. So gestählt starteten wir in den Tag.






Heute war Bergziegentag. All die vielen Höhenmeter, die wir in den vergangenen Tagen hinabgerollt sind, mussten heute wieder erklommen werde, einige gleich mehrmals. Schnell fiel ich zurück und es wurde auch klar, es würde heute die eine oder andere Schiebestrecke für mich geben. Mein Radel ist auf Flachland eingestellt und leider nicht auf den Gepäcktransport im Mittelgebirge.


Der Maare-Mosel Radweg ist großartig, einmal abgesehen davon, dass er aus dieser Richtung kommend beständig ansteigt, und zwar alles was Dampfloks seinerzeit auf der ausgedienten und umgebauten Trasse hergaben. Es gibt diverse alte Brücken und Tunnel auf dem Weg hinauf zu den Maaren. Maare? Das ist sicher nicht jedem geläufig, die Eifel ist ein Vulkangebirge, ein recht junges sogar. Die letzten Ausbrüche sind in geologischen Maßstäben gemessen erst einen Wimpernschlag her. Die Eifelvulkane sind besonders. Ohne nennenswerte Vorankündigung kommt es zu heftigen Explosionen und zurück bleiben tiefe Krater, die Maare, die sich dann mit Wasser füllen. Zu Lavaflüssen kommt es selten. Die Eifelvulkane gelten als aktiv. Zum gruseln empfehle diesen Artikel im Spiegel und selbstverständlich den Roman von Ulrich Schreiber.

Holzmaar
Bei dem Kreisständchen Daun hat die Gemütlichkeit ein Ende. Unglaublich bescheuerte Radverkehrsführung in der Stadt, Bundesstraße ohne Radweg und ein langer unbezwingbarer Aufstieg zehren Kraft und Nerven. So sehnten wir uns dann auch am Nachmittag unserer vorgebuchten Unterkunft engegen. Gutes Essen, schönes Zimmer, heiße Dusche, weiches Bett - was will man mehr? 


Ach ich vergaß: kein W-Lan, kein mobiles Internet, shit happens, dann wird der Beitrag eben morgen gebloggt.

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Tag 7 ist sozusagen eine Wiederholung. Man stelle sich Tag 2 rückwärts, bergab und ohne Regen vor, dann passt es ungefähr. Der Topografie geschuldet haben wir uns heute für den gleichen Weg entschieden, eine besseren gibt es nicht. 


Der Himmel drohte ständig, meinte es aber wohl nicht ganz so ernst. Marta hatte Ruhetag, die Kaffeefee am ehemaligen Bahnhof in Roetgen musste einspringen und machte das mit Kakao und Kirschstreusel ganz hervorragend. Und was haben wir gelernt? Heimat? Heimat ist wo es schön ist und man sich wohl fühlt. Und - achja, eins noch, wo du dich nicht aus eigener Kraft hin bewegt hast, bist du noch nicht gewesen. Go!



Freitag, 10. Juni 2016

...mal was schnelles


...das wär´s. Nicht sowieso schneller sein als diese Menschen auf den Zweirädern in den lustig bunten Wurstkostümen, sondern komfortabel schneller sein, und bitte ohne Schweißperlen auf der Stirn. All das natürlich, ohne die angespannte Haushaltslage im Angesicht der nun kommenden Urlaube weiter zuzuspitzen. Ein schöner Traum, vielleicht nächstes Jahr, vielleicht?


Und dann war da plötzlich die Nachricht im Handydisplay: "Ich verkauf es dir". Im Angesicht des vorgeschlagenen Preises kam von mir ein reflexartiges "Ja!" und dann begannen die Überlegungen wo denn nun das Geld her kommen soll. Auch hier hatte ich ein glückliches Händchen und nun stand "ihm" nichts mehr im Wege. ´




"Es" ist ein M5 20/20 aus der niederländischen Liegeradschmiede von Bram Moens in Middelburg. Eine Pionier des Liegeradbaus. 10 Jahre hat es wohl schon auf dem Buckel, aber der Stahlrahmen ist unverwüstlich und es wurden unlängst solide Teile angebaut. Kein Schnick, kein Schnack, einfach gut.und durchdacht. 


30° Sitzwinkel, 20 cm Tretlagerüberhöhung und das Ganze auf schmalen Rennradreifen, da muss man sich erst einmal dran gewöhnen und Vertrauen fassen. Dann aber wird das Grinsen immer breiter, fährt man doch gegen den Wind so schnell wie normale Radler mit dem Wind. Ich mochte gar nicht mehr absteigen am Abend, doch der Pinscher wartete. Das hier ist übrigens pinscherfreie Zone, die Montage eines Gepäckträgers ist nicht möglich. 










Sonntag, 5. Juni 2016

Komfortzone Verlassen, (Leistungs)horizont erweitern





Warum tut man das? Couch, Flaschenbier (bringen lassen), Fernbedienung und alles Schöne dieser Welt auf sich einrieseln (-prügeln) lassen würde doch reichen? Midlifecrisis? Männersache? Dummheit? Wahnsinn?....alles bestimmt nicht. Um es gleich zu sagen: Ich weiß es nicht, aber vielleicht können wir uns dem nähern?







Die Idee war, von Hamburg nach Berlin fahren, mit dem Fahrrad und ohne Schnickschnack. Ca. 3 Jahre ist diese Idee jetzt alt und ich hatte immer schon das Gefühl, das ich das kann, das es mir Freude machen wird und das ich danach unheimlich stolz sein werde. Nun ist es jedoch so, dass man eben genau diese Dinge nicht teilen kann. Es sind sehr persönliche Dinge, nichts was knallt und abraucht.


Da ist zunächst einmal das nötige Training, die Form am Tag X, das Material, das in Schuß sein sollte und die Rahmenbedingungen, wie z.B. das Wetter usw. Schön ist es wenn man Menschen hat, die daran glauben, dass man es schafft, aber Fahren muss man selbst. Es ist meine Tour, aus dieser Klarheit heraus hatte ich dann am Ende auch halbherzig aquirierte potentielle Mitfahrer wieder abgesagt. Irgendwann war klar, der 4. Juni ist der Tag. Mein Kopf hatte natürlich, und das war im Nachhinein betrachtet die größte Herausforderung, 1001 Gründe warum es nicht geht. Angefangen vom falschen Fahrrad bis zur nicht perfekt sitzenden Unterhose - ich siegte. Als das klar war begann auf Kommando mein Körper mit Sabotageakten, hier mal niesen, ein Zwicken, Mattheit....ich habe dich durchschaut mein Freund. Wenn dann alles nichts mehr Hilft, dann Fährt die Deutsche Bahn beim Buchen des Fahrradrückfahrtickets schwere Geschütze auf. Ach ihr könnt mich doch mal!


22:40 Uhr - draufsetzen, Bussi, losfahren, sogar den Hund hatte ich vergessen zu kraulen. Bisschen durch die Innenstadt schlängeln, für die Lauesommernachtvorortkids war ich eine kleine Attraktion die es freundlich johlend zu begrüßen galt. Nacht, dunkle Nacht, über Krümmel zerbarst symbolträchtig eine Sternschnuppe. Pause, Banane, Müsliriegel, Wasser, auf Nachforschen die Gewissheit, die Elbfähren fahren nachts nicht und daraus resultierend eine Kurskorrektur. 



Fatal, unter der Elbbrüke in Lauenburg legte es mich danieder. In einem mit Sand aufgefüllten Schlagloch - diesen Schwachsinn werde ich wohl nie verstehen, man sieht das Loch nicht, legt sich aber als Radfahrer garantiert ab, zumindest wenn man 20" Räder hat. Stockdunkel! Der Lenker hat sich um 180° gedreht, nix abgerissen, nur etwas geschürt. Sand abklopfen, alles notdürftig richten. Das Übel trat erst 80 km später zutage. Die rechte Klickpedale hatte wohl nicht schnell genug ausgelöst und im Knie, an der Außenseite tat es weh und weher. Ein Grund die Sache abzublasen? Nix dick, nix blau, sicher nur überdehnt, ich zieh das durch, ich glaube ich habe ein ganz gutes Gefühl dafür, wenn ernsthaft was kaputt ist. 



Dann kam auch schon das, wofür ich diesen Tag bis ans Ende meiner Tage lieben werde. Ein Morgen in den Elbauen. Kühle 9°, Bodennebel, seit viele Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Kranich im Nebel, Störche ,das quaken von Millionen Fröschen, ein Silberstreif am Horizont, Starenschwärme fliegen auf ansonsten nur ich, meine immergleiche Bewegung und das leise surren der Kette. Ich gehöre jetzt auch zu den wenigen Menschen, die jemals eine Dachs in freier Wildbahn gesehen haben, diese scheuen Tiere gibt es wirklich, dort draußen in den Elbauen. Der Sternenhimmel zieht sich zurück, die Sonne geht auf, der Zauber ist vorbei, aber ich werde ihn mir bewahren.


"Kaffee gibt's ab 6!" - "Ach bitte bitte!" - na geht doch, auch in Dömitz. Lange Pausen erlaubt eine Strecke von dieser Länge nicht, jedenfalls nicht ohne zu nächtigen. Als Kaffee und Gebäck bei mir tatsächlich ankommen, überfällt mich schlagartig eine Müdigkeit, der ich aufgrund der Tatsache, dass ich mich im Straßenverkehr bewege, auch spontan nachgebe. Halbe Stunde im Straßengraben. "Alles in Ordnung?" Brüllt ein Bauer von seiner Riesigen Landmaschine herab. Ich blinzele und halte den Daumen hoch. Frühstück II in Wittenberge. Auf dem Klo Wasser fürs Gesicht, Schuhe aus, Füße lüften, Trikot wechseln, Lichtschutzfaktor 50+ Orgie, Kaffee, jaaha schon wieder Kuchen, aber ich darf das. 10 Minuten warte ich bis eine Apotheke öffnet. Mir schien Balsam fürs Knie angemessen, Tretausleger einen Tick rausziehen, etwas Druck wegnehmen.


Nach 260 km war ich dann trotzdem durch. Wenn der Puls an Steigungen nicht mehr ebenfalls steigt, dann ist das kein Zeichen besonders guter Kondition, sondern einfach ein Zeichen dafür, daß man fix und fertig ist und der Körper nichts mehr zu bieten hat. In jedem Kaff gewährte ich ihm 5 Minuten Pause und stellte mir vor, wie Reserven aus meinen dezent vorhandenen Bauchfettpölsterchen in die Oberschenkel fließen. Das funktionierte leidlich. Der Durchbruch jedoch kam mit einem gänzlich unerwarteten Stück Blaubeer-Schmand Kuchen und einem Milchkaffee. 


Ich hatte wieder einen Blick für die Schönheit der Havellandschaft. Nette kleine Städtchen, Fähre, das Denkmal auf dem Berg von dem Otto Liliental einst sprang.
Angekommen! Fürstlich empfangen, tolles Essen, Schulterklopfen, 329 km, Bauchpinseln. Ja, es war ein Kraftakt, eine gewaltige Leistung, aber es ist meins - ihr könnt das nicht verstehen. Aber vielleicht, vielleicht habe ich jetzt jemandem Mut gemacht, seins zu machen. Das wäre schön.