Dienstag, 5. November 2019

Draußen-Menschen


Herbst, fast schon winterlich, früher waren wir in diesem Jahr nicht zusammen gekommen, sollten wir da wirklich noch eine größere Fahrradtour starten? Na klar! Warum nicht?


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Reformationstag und Allerheiligen, darauf folgend ein Wochenende, Treffen auf halber Strecke, das erschien perfekt. Klar würde es kalt sein, natürlich würde es regnen und selbstverständlich wird es früh dunkel zu dieser Jahreszeit, Parameter an denen man nicht schrauben kann, die jedoch erfahrungsgemäß ausschließlich beim "daran denken" unangenehm sind und der später empfundenen Freude selten entgegen stehen.


So ging es dann auch ganz prima los. Stau und falscher Parkplatz auf der einen Seite, Bahnstreckensperrung und falscher GPS-Track auf der anderen Seite. Es war mir wirklich nicht aufgefallen, dass ich, mutmaßlich nach Süden fahrend, die ganze Zeit die Sonne im Nacken hatte. Zusammengekommen sind wir schließlich doch noch. Die Freude war groß, wir sehen uns nicht so oft, und dass wir erst weit nach Anbruch der Dunkelheit bei unserem Nachtdomizil ankamen, war dann auch nicht weiter schlimm. Tolle Unterkunft, hervorragendes Abendessen! Die Kellnerin riet von Scholle ab, die habe Gräten, ich solle doch lieber ein Schnitzel essen - wie weise!


Allerheiligen war Schluss mit lustig. Kalt, windig, uselig (wie der Rheinländer so schön sagt) und der Teuteburger Wald hält so manche überraschende Steigung parat.  Leuchtendes Buchenlaub bei feinem Dauerregen, rechts im Wald eine flitzt eine erwähnenswert große Herde wilder (die kenne ich sonst nur hinter Zäunen) Mufflons davon. Bei noch angenehmer Durchnässung fanden wir einen Bäcker im Supermarkt. In solchen Lokalitäten kann man länger sitzen, diverse Heißgetränke konsumieren, mehrere Stücke Kuchen in Folge essen und dabei entspannt dem Volke beim Einkaufswagenschieben zuschauen. Idealer Weise so lange, bis es wieder aufhört zu regnen. Tat es aber nicht und sollte es auch demnächst, laut aller zu Rate gezogenen Wetter-Apps, nicht tun. Was macht man da? Weiter fahren!


 Nächster Ort, nächste Herberge, tolle Zimmer, ganz wichtig: heiße Dusche, lustiges Ambiente schlechtes Abendessen. Im Angebot waren Schnitzel, Schnitzel und Schnitzel mit jeweils verschiedenen Beinamen aber immer der gleichen furchtbaren Sauce. Der Standart des Hauses hätte mehr verheißen. Wie gut, dass wir solch einen großen Hunger hatten. Nach Planung des weiteren Vorgehens verschwanden wir an diesem Abend dann auch recht bald in den Kojen.


Da wieder Regen angesagt war, hielten wir es etwas kürzer. Der heute gebuchte Landgasthof lag malerisch im Wald, jedoch verkehrsgünstig 200m neben der A1. Gegen 15:00 Uhr waren Eingang und Fenster allesamt verschlossen und niemand hätte darauf gewettet, dass sich dies jemals ändern würde. Da das Wetter gnädig war, erkundeten wir noch das nahe Ladbergen. Dies, so kann ich nun sagen, diente bestenfalls dem Totschlagen von Zeit und dem Erkenntnisgewinn, nicht viel zu verpassen, wenn man es nicht tut. Zwei Stunden später brannte ein Licht in der Herberge, vier Stunden später war der Laden gut gefüllt. Wie man sich doch täuschen kann. Die hiesigen Schnitzel waren soweit nicht zu beanstanden, allenfalls die Tatsache, dass auch hier sich die Speisekarte auch hier mit Schnitzeln aller Art begügt. Schweinebucht! 8,7 Millionen Schweine gleich vor der Haustür - das ist ja so, als würde man sich in Cuxhaven über den vielen Fisch beschweren.


Den Abend verbrachten wir wie üblich mit Philosophieren. Das haben wir vor 40 Jahren schon so gemacht. Gott und die Welt, das Gute und das Gutgemeinte, das da drinnen und das da draußen. Was macht Menschen glücklich, was unglücklich und am Ende noch ein Exkurs über  Drinnen-Menschen und Draußen-Menschen. Vier Tage und wir hatten niemanden im sonst fahrrad-affinen Münsterland auf Tour gesehen - keiner, der unsere Freuden hätte teilen können. Draußen-Menschen sind schon irgendwie besonders.

Mittwoch, 21. August 2019

Gegenwind


Gegenwind ist lästig beim Radfahren, zuweilen unerträglich im Leben. Auf dieser Tour hatte ich pausenlos Gegenwind aber auch schon das ganze Jahr bläst der Wind des Lebens von vorne. Gegenwind sortiert, Gegenwind macht stark, Gegenwind schärft den Blick für schützendes Gebüsch. Nach zwei Todesfällen in der Familie in diesem Jahr, hätten wir uns einen schönen Urlaub verdient, aber der Gegenwind kann gnadenlos sein. Nach anstrengender Fahrt in den Südosten Europas, just als der Urlaub beginnen sollte ereilten uns Nachrichten von schwerer Krankheit und großer Not und wir machten uns sogleich auf den Rückweg. Am Ende stand wieder der Tod. Der Gegenwind hört nicht auf.



Dem aufmerksamen Betrachter fällt vielleicht die neue Karte auf. Der Betreiber von GPSies hat angekündigt, nach vielen Jahren, seinen Dienst einzustellen und die Daten an eine amerikanische Firma weiter zu geben. Dies ist zunächst einmal nicht verwerflich, die Webside war arbeits- und kostenintensiv, schade nur, dass es offenbar webweit keine Alternative zum einbetten und präsentieren  von gpx Dateien gibt. Außer, ja da staunt man nicht schleicht, bei Google. Schade, aber nun ist es so, ich möchte nicht gänzlich darauf verzichten. Klaus Bechtolt von GPSies einen recht herzlichen Dank von mir, für die jahrelange großartige Arbeit.


Koma, man kann nichts tun, nur warten. Eine ganze Urlaubswoche nur warten? Dann kann ich mich auch aufs Rad setzen und fahren. Doch schon bei dem Gedanken kommt innerer Gegenwind auf. Neben dem üblichen Schweinehund, der Bewegung generell ablehnt, schwingt noch am Rande ganz dezent so etwas wie die Angst vor dem Alleinesein, und vor dem, was alles passieren könnte, und vor dem, was alles nicht passieren könnte. Erfahrungsgemäß absoluter Blödsinn, der schon nach wenigen Minuten on the road verschwindet, aber sich bei jedem Mal erneut anschleicht.



In Hamburg los fahren war mir zu fad, tausend Mal in jede erdenkliche Richtung davon gefahren, wollte ich etwas neues sehen. Sonntags morgens mit dem Metronom nach Bremen ist kein Akt und kostet wenig Geld. Eine Stunde und man ist in einer anderen Welt. Ein Kaffee bei Sonnenschein vor dem Bremer Hauptbahnhof, ein wenig dem Treiben zusehen, ich konnte mich kaum losreißen. Geplant war nicht viel, stramm nach Westen, Richtung niederländische Grenze, nichts gebucht, jajaja, natürlich hatte ich einen GPS Track, aber eher so als Empfehlung.


15:00 Uhr, Erdbeerkuchen, Lingen dürfte ich noch schaffen, mein booking.com empfahl einiges, ich nahm das günstigste und war alles andere als enttäuscht. Zum Abendessen stand noch ein Fußmarsch von 3 km an. Gut - ich liebe langsames Gehen nach langem Radfahren, das entspannt so herrlich. Nein, zu essen gebe es nichts mehr, sagte der Kellner im einzigen Gasthof vor Ort, das sei jetzt zu spät. Von Gegenwind ließ ich mich heute nicht mehr deeindrucken und furchtbaren Hunger hatte ich auch. Ich schlich also zur Küche (in der noch fleißig gewerkelt wurde) und erzählte dem Koch, ich sei von Hamburg hier her gekommen, mit dem Fahrrad, und ausschließlich um seine Kochkunst zu loben. Jo, da kann man wohl nicht anders. Ein Schnitzel mit Fritten und frischen Pilzen könne er mir noch zaubern. Hatte ich je etwas anderes gewollt? 


Ruhige Nacht, Frühstück beim Bäcker, 40 km bis zur niederländischen Grenze. Wie schon Gestern, auch heute und um es kurz zu machen auch morgen und übermorgen - Gegenwind. Ich war redlich bemüht Nordhorn etwas schönes abzugewinnen, sogar stehengeblieben bin ich mal,  es war mir nicht vergönnt. Hinter der Grenze die Offenbarung: so muss Radfahren! Durchgehend breite Radwege, beidseitig, außerorts weitestgehend 60-Zonen für den Blechverkehr, kein Drängeln, kein Schneiden, kein zu enges Überholen, knapp 90 km Holland waren ein Genuss bis.... 15 km vor dem gebuchten Ziel, eine Windhose ließ rostroten Staub bei in den Himmel steigen, es grollte heftig, dann blitze es beängstigend und fing sogleich an zu schütten. Ich kauerte an der Wand einer Scheune und schaute dem Spektakulum zu. Als das Gewitter abgezogen und satter Landregen eingesetzt hatte, entschloss ich mich weiter zu fahren. Die Aussicht auf eine baldige heiße Dusche und ein Abendessen waren zu verlockend, als das ich noch eine weitere Stunde oder länger hätte warten wollen. Es ist wie beim schwimmen im Meer, wenn man einmal drin ist, dann ist es wunderbar. 

Auch am nächsten Tag zog es mich wieder nach Holland. An der Maas entlang immer Richtung Süden. "Pannenkoeken met Stroop und Koffee Verkeert" bestellte ich, mein Niederländisch ist in den elementaren Bereichen perfekt. Auch Perfekt war der Blick auf die Maas und der Sonnenschein, der auf der Haut kitzelte. So saß ich lange bei meinem falschen Kaffee und schaute der Fähre beim fähren zu, während sich genau hinter mir tiefschwarze Wolken auftürmten. Das aber merkte ich erst bei den ersten Tropfen. Von nun an trieben mich die Wolken vor sich her um mich, beim queren der Maas mit einer kalten Schauer zu erwischen. Das gleiche Spiel wie gestern, 15 km im Regen, heiße Dusche und alles wird gut. 

Letzte Nacht, die Unterkunft bewusst teurer gewählt, es war die schlechteste, letztes Abendessen, bewusst opulenter gewählt, es war das schlechteste, die Gallensteine quälten mal wieder, Gegenwind. Warum tut die rechte Zehe eigentlich so weh, da müsste man mal nach schauen. Großzehen sind so weit vom eigentlichen Körper weg, das vergisst man dann auch leicht wieder, das Schauenmüssen. 
Die letzte Etappe hatte ich bewusst kurz gehalten. 70 km bis zu meinem Heimatort in der Eifel, das dürfte keine Problem sein. OK, Gegenwind, und dann ist da noch dieser Berg, der Rotter Berg. Wenn man in Hamburg los fährt, dann hat man den Rotter Berg schon vor Augen. Warum? Ganz einfach, es ist der einzige Berg und es ist der Berg, den ich als Kind schon nicht hochfahren konnte, weil er zu steil war. 


Zugegeben, er ist wirklich steil und gemein, denn er wird im Verlauf immer steiler. Aber klar, ich wusste, ich würde mir die Blöße nicht geben, auch nicht mit einem 17 km Massivstahlrad, auch nicht mit Gepäck, auch nicht bei Gegenwind und nein, auch nicht wenn keiner zuguckt. Absteigen ist für Looser! Am Ende war ich dann ganz erstaunt, dass dieser riesige Berg nur 280m lang war, 280m von 500 km.  


Zuhause! Wanne! Endlich Zeit mal nach der Zehe zu schauen. Achdusch.....! Gegenwind!




Mittwoch, 12. Juni 2019

Puh!



Eine 100 km Tour sollte es werden. "Puh! da muss ich diesmal passen, keine Kondition!" Die Ereignisse im Frühjahr hatten ihre Spuren hinterlassen. Zu einem Zeitpunkt im Jahreslauf, zu dem ich normalerweise zum Leistungshoch neige, fühlte ich mich in diesem Jahr allenfalls rudimentär fit. Die Tour am Frohnleichnahmswochenende musste ohne mich stattfinden. 



Die Idee steht vor der Tat. Wenn niemand zuschauen würde und ich das Tempo selbst bestimmen könnte, dann könnte ich doch alleine.... gedacht, gemacht. Einmal die Elbe hoch bis Bleckede und dann nach Westen Richtung Wohnwagen. 101 km, ich würde es ja gemütlich angehen können und mich danach sicherlich besser fühlen. Auf den Deichen der Doven Elbe folgend, über die Schleuse in Geesthacht hinüber, einem Atomkraftwerk und topografischen Unannehmlichkeiten ausweichend bis Lauenburg rollen und dann wieder die Elbseite wechseln. So war der grobe Plan.


In Boizenburg gelüstete mich nach einem Eis. An der Eisklappe orderte ich einen Schokobecher und einen Pott Kaffee. "...und können sie mir bitte die Wasserflasche mit Leitungswasser auffüllen?" - "Nö!" - "Bitte?" - "Nö, machen wir nicht!" - "Entschuldigung, ich bin Kunde, bin auf der Durchreise und habe gerade bei ihnen etwas käuflich erstanden, da könnten sie doch...." - "Nö, sie können sich ja ein Fläschchen kaufen" (200 ml 2,00€) 
Ich konnte mir so gerade noch die Bemerkung verkneifen: " ....ja sicher, und sie haben doch bestimmt letzten Sonntag auch die AfD gewählt?" Ich muss schon sagen das traf mich hart. Die Bitte als Radreisender,  eine Wasserflasche mit Leitungswasser aufzufüllen hatte mir auf quasi zwei Weltumrundungen noch niemand ausgeschlagen. Ich war entsetzt und trottete von dannen, zu einem der sechs freien Tische auf der alten Laderampe, löffelte etwas missmutig mein Eis und wollte gerade am Kaffee schlürfen, als sich eine ältere Dame, mit ihrem Enkelkind an den einzigen nicht freien Tisch dieses Ladens, nämlich meinen, setzte. Ohne mich anzusehen, ohne zu fragen, ohne Gruß, offenbar ganz ohne von mir Notiz zu nehmen. Nun war mir endgültig klar: hier ticken die Leute anders, das übersteigt meinen Horizont. 


Dass ich dieser Oma am heutigen Tage noch sehr dankbar sein würde, wusste ich indes noch nicht, als ich reichlich Irritiert wieder auf meinen Renner stieg. Rückenwind, Sonnenschein, Deich, Ruhe, nur das Surren der Kette und die vorbeiziehenden Elbauen. Schnell hatte sich mein Gemüt wieder beruhigt. Was gibt es schöneres als mit dem Liegerad über den Deich zu gleiten? Es lief so gut. So gut lief es, dass ich beschloss noch einen drauf zu legen und die Elbe erst wieder in Darchau zu queren. Schwupp auf die Fähre und.....ja wo ist denn das Portemonnaie, wo ist denn dieses verdammte  Portemonnaie. Wieder ein Novum in meinem doch nun schon leidlich lange andauernden Leben, ich hatte zum ersten Mal mein Portemonnaie verloren. Drei Rennradfahrer hatten Mitleid und zahlten den Fährmann. 


Am anderen Ufer trank ich meinen letzten Schluck Wasser und kippte die Tasche aus. Dass ich mir keine zu großen Hoffnungen mehr gemacht hatte beruhte auf  einer realistischen Einschätzung. Die Geldbörse musste auf der anderen Seite sein, und zwar dort, wo ich mich zwei Stunden vorher so furchtbar geärgert hatte. Wenn, dann dort. Kein mobiles Internet, weder im E noch im D Netz. War ja klar, schließlich befand ich mich in der Ostheide. Nach Hause anrufen ging noch. Eisklappe, Hafen, Boizenburg.....gibts nicht! Verdammt! Nein, da ist nur ein Grieche auf der Google Karte, definitiv kein Eis! Die Auf den mutmaßlich weiteren Verlauf des Tages ließ die Stimmung erneut sinken. Der Fährmann musste mich wieder rüber fahren. Tat er auch netter Weise. Ich versprach beim nächsten Mal doppelt zu zahlen. 



Wat nu? Ich überquerte die Straße und ging zum örtlichen Fährhaus. Ein Man in der in der Tür stand und aussah, als habe er irgendetwas mit dem Laden zu tun, erlaubte mir meine Wasserflaschen (kostenlos, haha, ich hatte ja kein Geld) aufzufüllen. Beim hinausgehen klagte ich im noch mein Leid. Ja genau, die Eisklappe gehöre zu einem Hotel, das sei sozusagen am Hintereingang. Die Telefonnummer fand er schnell in einem Touristenführer und ich solle da doch mal flux anrufen. 
"Ah, sie haben es wohl klingeln hören, wir haben gerade bei ihnen zu Hause angerufen, die Nummer hatten wir bei Facebook gefunden..." Mir fiel ein Stein vom Herzen. 


Fast zwei weitere Stunden brauchte ich, nun bei Gegenwind, zurück. Mit nun doch schwerer werdenden Beinen und mit leichtem Herzen. Geld, Plastikgeld, Führerschein, Ausweis, kurz malte ich mir aus, was das bedeutet hätte. "Hat eine ältere Dame mit einem kleinen Kind abgegeben,....nein ist uns unbekannt, ...ach was, brauchen sie nicht, war das dritte Portemonnaie, das heute hier abgegeben wurde... alles gut". Puh! Ich kaufte dann noch eine große Flasche Wasser, die ich auf einer einsamen Brücke genüsslich und gefühlt beschenkt hinunter gurgelte während ein Kuckuck kuckuckte und ein alter Angler, der wie er sagte, auf Aal aus war, vorbei schluffte. 


Nur noch zurück zur Fähre (diesmal Bleckede) und dann noch die knapp 20 Kilometer bis zur Else. Ich war redlich fertig als der Tag sich zu Ende neigte, aber mehrfach glücklich. 152 km zeigte die Uhr. Ich kann es noch. Die Nacht war dann die erste ohne Lotte im Wohnwagen. Ich muss schon sagen, da fehlt was, und sei es, dass jemand im Weg steht und hungrig guckt.

Nach, wie immer, hervorragendem Frühstück auf dem Heidehof war der kurze direkte Rückweg ein leichter. Natürlich kreisten die Gedanken im weiten Bogen um das, was immer so passiert und mit einem lächeln auf den Lippen fand ich, dass ich ganz schön oft auf die Füße falle und eigentlich noch nie untergegangen bin.





Samstag, 27. April 2019

2 Rehe / 1 Wildschwein / 25 KM - Nachruf auf einen begeisterten Radfahrer


Zwei Rehe, ein Wildschwein, 25 KM, 4. Februar 2003 - so, oder so ähnlich sahen sie aus die Einträge in seinem "Fahrtenbuch". Fast alles hat er aufgeschrieben, wichtiges, unwichtiges, unbegreifliches, kurioses. Der letzte stammt vom 28. Februar 2019, 25 KM, die letzten 25 Km in einem erfüllten Radfahrerleben. Jetzt ist Robert Krüttgen tot. 


Geboren 1935, Kindheit im Krieg, Zerstörung, Flucht vor den letzten großen Schlachten am Westwall, Hunger, die 13köpfige Familie wurde nie satt. Schule? Ausbildung? kein Gedanke! Die Mutter starb früh in den 50ern. Heirat, 4 Kinder, zwei überlebten. Arbeit war sein Leben, etwas schaffen für die Familie. Damals, in den goldenen Nachkriegsjahren war alles möglich. Die Anzahl der gebauten Häuser bleibt ungezählt. 1994 war der Rücken verschlissen, die Knie auch und ein gewisses Übergewicht war nicht zu übersehen -  Rente mit 60, das wird er nicht überleben, dachten wir, jemand der immer gearbeitet hat, kann nicht einfach aufhören.


Konnte er! Und wie er das konnte! Quasi nie auf einem Fahrrad gesessen (wann auch, es gab schließlich immer etwas sinnvolles zu tun), kaufte er sich im November 1995 ein nagelneues Fahrrad. Treckingrad - gute Qualität (ich kaufte mir damals das Gleiche) - nur drei Jahre später war es verschlissen, einfach total verschlissen (meines fährt immer noch durch Hamburg, ab und an sehe ich es auf dem Hof stehen).


Um Punkt halb sechs am Morgen ging es los. Jeden Morgen, bei jedem Wetter, ohne Wenn und Aber. Auf den Mann mit dem Fahrrad war Verlass. Ganz habe ich die Aufzeichnungen nicht durchschaut, aber eine Viertelmillion Kilometer dürfte Robert noch gefahren sein, nach seiner Berentung, gut 6 Mal um die Welt. 


Jeder hier kannte den Mann mit dem Fahrrad, für ein Schwätzchen blieb er gerne mal stehen. In den letzten Jahren haben wir auch ein paar Mal gemeinsam in die Pedale getreten, gerne auch mit Übernachtung, echte Familienausflüge, er hat es geliebt. Auch für dieses Jahr war wieder eine große Tour geplant, aber dazu ist es leider nicht mehr gekommen. 


Es ging alles so schnell. Am 7. Januar der erste Arztbesuch seit 25 Jahren, Krankenhaus, Hoffnung, Krebsdiagnose am 6. März, immer noch Hoffnung, Mitte März dann die Sicherheit, dass der Krebs schon überall und nicht mehr aufzuhalten ist. Die Entscheidung gegen jegliche Therapie war weise. Eine letzte Rund durchs Dorf gestützt von seinen Kindern, eine letzte Zigarette auf dem Balkon, der letzte ruhige Atemzug am 7. April um 9:00 Uhr, an einem sonnigen Sonntag Morgen, zu Hause, im Kreise der Familie. Es ist traurig, ich habe meinen Vater verloren. Im Himmel gibt es nun einen begeisterten Fahrradfahrer mehr. 





Montag, 21. Januar 2019

Wintercampen


Ein knappes halbes Jahr habe ich nun schon "Else", mein Wohnwagen in der Ostheide. Der nicht enden wollende Sommer endete dann erstaunlicherweise doch und es folgte ein sommerlicher Herbst mit Temperaturen bis an die 30°C und weiterhin anhaltender Trockenheit - mit anderen Worten, außer dem schwindenden Tageslicht und den vor der "Else" nun prächtig sprießenden Pilzen gab es keinen Unterschied.


Mich beschlich  jedoch die Angst, die nun fast 30jährige  "Else" könne eventuell undicht sein. Allen fehlte es an der Möglichkeit das in der Realität auszuprobieren, es regnete ja nie. Irgendwann ab Anfang Dezember, ich hatte gerade meine abendlichen Barfußrunden durch das Dorf eingestellt, kam es dann doch so, wie es kommen musste. Kalt, regen, dunkel - wobei letzteres sich als das unangenehmste herausstellte. Was will man machen, ohne Licht, ohne Internet, ohne.....


Mitte Dezember war ich das letzte Mal in Radenbeck auf dem Campingplatz. Das Hoflädchen fiel in den verdienten Winterschlaf, das wundervolle vegetarische Café hatte seine Öffnungszeit stark reduziert und dann auch eingestellt. Das Wasser auf dem Platz war abgestellt, lediglich die Sanitäranlagen konnten weiter benutzt werden.


Am letzten Wochenende wurde ich dann doch etwas nervös. Wie mag´s wohl aussehen in der Heide. Das Wetter sollte trocken und kalt werden, es bot sich geradezu an, einmal nach dem Rechten zu schauen. Mit der Wendlandbahn fuhr ich bis Wendisch Evern und stratzte sodann mit Lotte Richtung Osten über den Elbe-Seiten-Kanal und weiter durch die hartgefrorenen Felder und Wälder der Ostheide. Bei Einbruch der Dunkelheit kamen wir, wie geplant, nach 13 km Fußmarsch, an. Im Gepäck, nicht ganz leicht, ein paar nachträgliche Weihnachtsgeschenke für "Else", Lebensmittel für zwei Tage, Wechselklamotten und den üblichen Kleinkram. 


Niemand da! Ich war alleine auf dem Campingplatz. Die Mufflos von der Koppel im Wald waren etwas näher zum Dorf gezogen - man sagt, der Wolf hole sich ab und an einen Leckerbissen auf besagter Koppel. Gasflasche auf (ein alter Freund wünschte mir noch passend, allzeit eine Hand breit Gas in der Flasche, wie gut, denn ich habe gerade nur eine), Strom ans Netzt, Tür.....zugefroren. Im Mausebachthal ist es immer einen Ticken feuchter und kühler als in der Umgebung. Ein beherzter Ruck, die Dichtung war nicht kleben geblieben. Licht an, ups - immerhin funktioniert die halbe Beleuchtung, Gastherme.....achja - mit der Taschenlampe schaute ich nach dem Zünder und schwupp, wohliges Geräusch gefolgt von eben solcher Wärme.


Schade, dass das Heizgebläse zu dem Stromkreis zählte, der sich zierte. Klamm war es, nicht nass, super, nach dem (Dauer)Regen der letzten Woche. Alle das Schaffell, das auf der Sitzbank über dem Spannungswandler lag war auf der Lederseite patschnass. Seltsam, sehr seltsam. Nachdem ich drei mal alle Sicherungen geprüft und mindestens doppelt so oft über die professionelle Verkabelung des Vorbesitzers (es liegt möglicherweise daran, dass der Mann Dachdecker war) den Kopf geschüttelt hatte, gab ich auf. Für das Wochenende würde ich mich mit dem 200 V Anschluss begnügen und auf etwas Luxus verzichten müssen. Apropos Luxus, erst mal einen Kanister Wasser holen. Später sollte ich dann feststellen, dass Wasser im Abfluss spontan gefriert und noch später gelang es mir tatsächlich den Stromfehler durch ein gelangweiltes herumschalten an der Lampe über dem Herd zu beheben. Das Leben ist seltsam aber schön. 


Tortellini mit Pilzsauce und ein Rest Mineralwasser gab es zum Abend. Nach nur 3 Stunden war ich bei kuscheligen 20° C. Ein Achtungserfolg, schließlich ist "Else" nicht isoliert und eigentlich auch nicht wintercampingtauglich. Nicht verschweigen möchte ich allerdings, dass ich mit 2000 W Elektroheizung nachhelfen musste. Derweil zeigte das wieder instand gesetzte Außenthermometer -6°C an. Spülen, heiß duschen, büschen Barfuß, nur ein paar Meter, die Energieverschwendung reduzieren und mit einem Buch unter zwei kuschelige Decken verschwinde. Lotte am Fußende oben drauf. So lag sie dann satte 9 Stunden, leise schnorchelnd und ohne sich einen Millimeter zu bewegen. 


Der Blick aus dem Fenster am Morgen weitete meine Pupillen -  Wow! In der windstillen, kalten Nacht waren Eiskristalle von Rekordgröße gewachsen. Nach einem heißen Kaffee hielt mich nichts mehr. Ich stapfte durch das kleine Naturschutzgebiet hinter dem Platz um ein schönes Foto von "Else" (ganz oben) zu schießen und, naja, vergaß den kleine Bach der da....und das Eis war auch noch nicht so dick, lange Rede kurzer Sinn, ein weiterer Kaffee war nötig und ich hatte die Muße meine Wanderschuhe trocken zu föhnen.


Jetzt aber! Frühstücken kann man ja immer noch. Oh wie wunderbar, oh wie schön! Alles strahlte weiß und die Rehlein waren auch noch da. Ich konnte mich kaum satt sehen an der Pracht. Den angepeilten Zug nach Hamburg würde ich wohl verpassen. Da kam das Angebot der netten Nachbarn, die ein Wochenendhaus in der Nähe haben, mich auf dem Rückweg einzusammeln, wie ein Geschenk. Ein paar überflüssige Polster, die ich immer nur planlos hin und her räume, könnten wir auch noch mit nach Hamburg nehmen. 


Mittag war längst vorbei, als ich bei Kaffee und Müsli gemütlich die Bilder des Vormittags auf dem Tablett betrachtete und dann war das Wochenende auch schon vorbei. Auch Lotte hatte es sichtlich Freude gemacht. Sie ist (ganz anders als Joschi) ein echter Winterhund, Eis und Schnee machen ihr Freude und sie blüht sichtbar auf, wenn es raus auf´s Land geht. Im Auto kam mir jedoch gleich der Gedanke an das nächste Wochenende, je nach Wetterlage könnte man doch.... überlegen.... vielleicht.....