Sonntag, 29. August 2021

Ruhe


 

Als Schlüssel zum Glück wird die Abwesenheit von Lärm notorisch unterschätzt. Die meisten Menschen haben vergessen, dass Stille die Wirkung einer inneren Dusche besitzt. Reinigung, beruhigend und belebend zugleich. Niemand kann inmitten von Lärm glücklich sein.

Samstag, 2. Januar 2021

Outsider


Outsider, Außenseiter, eine nicht in die Gesellschaft integrierte Person, die Bedeutung ist mir durchaus bewusst. Ich verwende den Begriff im Folgenden für jemanden, der gerne draußen ist, sich freiwillig und gerne den Elementen aussetzt, sich Landschaften ergeht oder erfährt, Freude an Bewegung hat und in jedem Moment voller Neugier und mit Entzückung seine Umgebung wahrnimmt. Was dieser "Draußenmensch" mit dem Außenseiter zu tun hat, warum das Eine, das Andere möglicherweise bedingt, darauf möchte ich später noch eingehen.


Ich glaube, man kann es sich nicht wirklich aussuchen. Ich glaube, ich habe es von meinem Vater geerbt. Die dazu passende Anekdote geht wie folgt: Anfang der 70er Jahre hat mein Vater 3 Jahre in einer Glasfabrik gearbeitet. Der Verdienst war gut, die Arbeit ordentlich, eigentlich war es ein rundes Ding und man hätte dort mit diesem Job alt werden können. Papa jedoch erzählte, er habe in dieser Zeit immer wieder und sehr gerne die Toilette aufgesucht. Der Grund dafür war, die Toiletten hatten Oberlichter, durch die man den Himmel sehen konnte. 1972 hat mein Vater dann wieder Arbeit unter freiem Himmel angenommen - deutlich schlechter bezahlt, anstrengender. Von jener Zeit an hat er bis zur Verrentung nie wieder in einem geschlossenen Raum gearbeitet. 

Man beschließt also nicht ein Outsider zu sein, man ist es einfach. In meinem Leben gab es nur wenige, kurze Phasen, wo ich mich dem abgewandt habe. Meist hatte dies mit Partnerschaften zu tun oder war arbeitsbedingt, unter der Oberfläche glühte das jedoch stets weiter. Viele Menschen gibt es nicht, die so gestrickt sind, im Gegenteil, ich glaube es ist eine kleine Minderheit.


Der Mensch ist ein soziales Wesen, das Bedürfnis, schönes Erleben mit Anderen zu teilen ist tief verwurzelt. Hier bin ich nun an dem Punkt gekommen, an dem es kompliziert wird, sehr kompliziert. Entstehen die Momente höchsten Glückes doch im Prinzip erst bei Abwesenheit Anderer. Nein, dies ist nicht der Grund, aber wesentlicher Bestandteil der Rezeptur. Das Rudel Rehe auf Tuchfühlung taucht nicht plötzlich auf, wenn man im regen Austausch durch den Wald stapft. Der scheue Dachs ist an menschlicher Konversation ebenso wenig interessiert. Den kleinen Pilz der auf dem Pilz der auf dem Pilz wächst sehe ich nicht wenn ich mich nicht ganz weit hinunter beuge, auf den wundervollen Lichteinfall bei Nebel im Wald achte ich nur, wenn ich mit mir alleine bin. Sanfte Brisen, das prickeln der Sonne auf der Haut, Wind im Haar, das Gefühl von Kraft und Stärke, genüssliche Erschöpfung, all das kann ich ohnehin nur selbst wahrnehmen. Andere Menschen sind bei diesen Erfahrungen bestenfalls Ablenkung, im allgemeinen jedoch Verhinderer. Liegt der Focus nicht 100% auf das da draußen, dann ist das Erlebten mangelbehaftet. Es ist eine schmerzliche Erfahrung, wenn man herausfindet, dass die Momente, die einem das Leben so lebenswert erscheinen lassen, am Ende niemals teilen kann. 


Wir sind exzentrische Menschen. Ich kenne einige, wir mögen uns. Jedoch auch schon vor der Corona Zeit hielten wir stets den nötigen Abstand, eben genau diesen Abstand, der zwar Verbundenheit  und Gemeinschaftlichkeit erlaubt, aber das persönliche Erleben nicht stört. Man findet sich, nonkonformistisch, kreativ, durch Neugier motiviert, idealistisch, mit seinen Steckenpferden, sich durchaus seines Andersseins bewusst. Intelligent, eigensinnig, jedoch ohne Konkurrenzstreben, nicht sonderlich interessiert an den Ansichten der Gesellschaft, vom eigenen Standpunkt überzeugt und oft ausgestattet mit einem schelmischen Sinn für Humor. Soziale Netze haben die Möglichkeiten des Austausches auf Abstand deutlich erweitert, die gefühlte Mängel-Lage reduziert. Den wenigsten ist das Glück beschieden, eine(n) Partner(in) gefunden zu haben, der/die einen immer wieder dort abholt jedoch auch merkt, wenn es an der Zeit ist, einen wieder hinaus ziehen zu lassen. Glück gehabt! Trotzdem, man ist und bleibt ein Outsider.



Donnerstag, 15. Oktober 2020

100.000.000 Meter


Es begab sich, im Jahre des Herren 2001, genau gesagt am 13. November jenes Jahres, dass ich am frühen Nachmittag, mit meinem Vater, der just Renter geworden war, den kleinen Fahrradladen, in meinem damaligen Wohnort, Balkhausen, welcher ein Stadtteil von Kerpen ist und im Rheinland liegt, betraten, um uns nach einem fahrbaren Untersatz umzusehen, mit dem wir künftig ein wenig die Zeit vertreiben wollten und um den einen oder anderen nötigen oder unnötigen Weg damit zu bestreiten. Mit anderen Worten: der unscheinbare Beginn einer grandiosen Geschichte. 




Wir kauften dann gleich zwei Räder, im Doppelpack waren sie billiger. Solide Mittelklasse war das. Meines tut immer noch, in Hamburg bei einem Nachbarn, seinen Dienst, das Rad meines Vaters wurde in Grund und Boden gefahren. Fast 20 Jahre später nun, am 10. Oktober 2020, habe ich etwas geschaft, was ich damals noch in das Reich von Märchen und Sagen verbannt hätte: 100.000 km auf zwei Rädern mit Muskelkraft. Zweieinhalb Mal um die Erde und ich bin ein ganz bisschen stolz darauf. Ruhm und Ehre gebührt jedoch meinem Vater, bis zu seinem plötzlichen Tot vor 2 Jahren hätter er mutmaßlich mit dem Fahrrad den Mond erreicht. Ein Vorbild mag ich mir daran dennoch nicht nehmen - zu gerne gehe ich auch zu fuß (was mein Vater hasste) oder mache einfach auch mal nichts (was mein Vater nicht konnte).



Man kann ein wenig mit den Zahle Spielen: 3.267 Mal habe ich mich auf das Rad geschwungen, knapp 5.700 Stunden im Sattel gesessen und dabei im Schnitt jeweils gut 30 km zurück gelegt. Ich war am Nordkap und vor Neapel, ich habe Estland umrundet und schwedische Seen, ich bin auf Bahntrassen durch die Picos de Europa pedaliert, am Baikalsee ist mir die Kette gerissen und ich mussten einen halben Tag bergauf schieben, die Transalpina bin ich, so weit es ging, mit dem Klapprad hochgefahren, Litauen, Frankreich, Finland, l und Dänemark sowieso.... Ein knappes Dutzend Unfälle gab es zu beklagen (keinen einzigen verschuldeten), die kürzeste Tour ging bis zum Plattfuß in der Hofeinfahrt, die längste nonstop 330 km nach Berlin. 12 Fahrräder habe ich gehabt, vier davon sind immer noch in meinem Besitz. Einmal habe ich fast 16 Stunden im Sattel gesessen, im Juni 2017 bin ich mehr als 2.000 km gefahren, 2015 fast 12.000 km in einem Jahr. Mein Schutzengel schafft im Übrigen gut 73 km/h. 


Jenseits der Zahlen, ja, das Erbsenzählen ist auch eines meiner Hobbys, tut sich eine bunte Palette von Erlebnissen, Erkenntnissen und Eindrücken auf, die ohne dieses Ding mit zwei Räderen einfach nicht geschehen wären. Zum Einen gibt es da viele gemeinsame Erlebnisse, sowohl mit Menschen, die mir viel bedeuten, als auch zufällige Bekanntschaften unterwegs. Zu erwähnen sind z.B. die Touren mit dem ADFC Hamburg, kleinere und größere Ausfahrten bei denen man stets nette Menschen kennenlernen kann und sich (ausnahmsweise) nie Gedanken machen muss, wo es längs geht. Der Liegeradstammtisch Hamburg ist mir seit Jahren Quelle für Freundschaft, Wissen und interessante Unternehmungen. Familie, Freunde, Nachbarn Kollegen, jemanden der Mitradelt ist schnell gefunden. Tagestouren, Wochenendtouren, Urlaubsreisen, Fahrradevents - das Angebot war oft größer als meine Nachfrage. Und dann war da noch der fremde Mann, in einem Café am Timmendorfer Strand, der mich und mein Fahrrad sehr lange betrachtete und mich dann ohne Vorwarnung fragte, ob ich glücklich sei. Irgendwie hat er es wohl geahnt.



Meine treuesten Begleiter hatten jedoch jeweils vier Beine und begleiteten mich viele Tausend Kilometer. Joschi der Pinscher war ein fantastischer Co-Pilot und brachte es, trotz seiner zierlichen Figur auf knapp 40 Stundenkilometer beim Nebenherlaufen. Lotte die Bolonkadame lässt es locker angehen. Sehr schnell hat sie sich an ihren Platz im Körbchen gewöhnt. Den verläßt sie auch bevorzugt nicht. Kurze Beine und ein schwach ausgebildeter (Nasen-)kühler machen sie als Laufhund denkbar ungeeignet, dafür ist sie meinst tiefenentspannt auf Tour und unterhaltsam in den Pausen.




Wenn du deinen eigenen Weg gehen möchtest, darfst du niemanden nach dem Weg fragen. Allein unterwegs sein hat einen besonderen Reiz. Vor dem Aufbruch stets von Zweifeln geplagt, die jedoch nach wenigen Metern auf dem Asphalt verfliegen -  ich habe es noch nie nicht geschafft. Der ganz eigene Rhytmus, frei von allen Vorgaben, Gedanken fließen lassen, an Grenzen gehen, im Regen naß werden, gegen den Wind stemmen, die Sonne auf der Haut spüren, mit dem Fahrrad eins werden, vor Freude schreien wollen, Weihnachtslieder singen, wenn es niemand hört, flow, wenn der Tag zu Ende ist, sich fragen: Bin ich da wirklich überall gewesen? Habe ich das alles gesehen und erlebt? Auch das alleine Radeln empfinde ich als ein großes Geschenk.


100.000.000 Meter und kein einziger tut mir leid. Jeder war einzigartig, keiner kommt je wieder aber hoffenlich kommen noch viele dazu. Sicher tut es manchmal weh, man könnte alternativ am Fenster sitzen und hinaus schauen, aber ich haber noch nie von jemandem gehört, der auf dem Sterbebett glücklich damit war, am Fenster gesessen und hinaus geschaut zu haben - deswegen fahre ich jetzt einfach weiter.











 

Montag, 27. Juli 2020

Antifotograf - von der stillen Freude, eigentlich nicht zu fotografieren


Ich war absolut unvorbelastet - zu meiner Kindheit gab es keine Kamera in unserem Haushalt, auch später nicht. Das Gute daran, es gibt nur eine Hand voll peinlicher Fotos von mir. Mein Interesse wurde so um die Jahrtausendwende geweckt. Es bediente eher die technische Begeisterung, denn die künstlerische Herausforderung. Meine erste Digitalkamer war eine Olympus, und sie war, aus heutiger sicht, peinlich schlecht, was jedoch meimen schnellen fotografischen fortschritten keinen Abbruch tat. Außerdem sog ich Fotografiewissen auf wie ein Schwamm.


Ich hatte Talent, das darf ich ohne rot zu werden sagen, viele Tausend verkaufte Fotos sind Zeugnis dafür, doch damit beginnt jedoch auch ein Dilemma. Man könnte sagen, an diesem Punkt war das Ende schon besiegelt. Wie das sein kann? Eine einfache Geschichte, von Freude, Erfolg und wie der Kapitalismus dem ein Ende bereitet. Das Klischee läßt sich leider nicht vermeiden.
  • du nimmst eine Kamera in die Hand
  • Fotografieren macht dir Feude
  • du kaufst dir eine bessere Kamera
  • du bringst die ersten Fotos an den Mann
  • du verdienst Geld
  • du verdienst viel Geld
  • an diesem Punkt spätestens hat deine Ausrüstung einen Umfang erreicht, den du selbst nicht mehr überblickst
  • dir fällt auf, dass du nicht mehr das fotografierst was dir Freude macht, sonder das, was Geld bringt
  • du merkst, dass Andere mit deinen Fotos immer mehr Geld verdienen, und du immer weniger
  • Fotowettbewerbe dienen ausschließlich dazu, an deine Daten (oder Fotos) zu kommen und dich in Folge mit Werbung zuzuscheißen
  • die, du könntest mir mal ein Passbild, Hochzeit, Geburtstag, Event, Katze, Hut ...fotografieren Fraktion wird immer breiter und tiefer
  • die Einnahmen sinken, zumindest deine
  • du fotografierst schon lange nicht mehr, du produzierst Fotos
  • Was mach ich da eigentlich?
  • Aus, vorbei - wie gut, dass ich die Reißleine noch ziehen konnte, gut für's Seelenheil

Es war kein großer Knall, es war eher ein leiser Rückzug. Die Ausrüstung wurde pragmatisch immer kleiner, die überteuerte Soft- und Hardware abgespeckt, Events abgesagt, die Fotos allgemein weniger. Fast 20.000 davon habe ich verkauft, am Ende habe ich sie nicht mehr gezählt. In meinem Archiv lagern mittlwerweile 120.000 Stück. Ich hatte Fotos in allen großen Tages- und Wochenzeitungen, auf Wahlplakaten, Romancovers, und auf vielen Dingen, von denen ich gar nichts weiß. Auf Flickr wurden meine Werke rund 3.000.000 Mal bestaunt, den Account werde ich nicht mehr verlängern. Alles hat seine Zeit, da ist keine Trauer.



In den letzten Monaten flammt jedoch der Spieltrieb wieder auf. Kamera? Nehme ich gerne mal in die Hand und versenke sie dann wieder im mit weichen Schaumstoff ausgekleideten Koffer. Photoshop und Lightroom? Ich habe nicht einmal mehr einen PC. Das Smartphone ist mein neues Spielzeug. Mit guten Kameras ausgerüstet sind die Möglichkeiten unglaublich. Nachtaufnahmen aus der Hand, Makrophotos ohne Stativ, Tiefenschärfe ohne Ende, das hätte mir vor einem Jahrzehnt noch niemand abgekauft. Ich habe das Video als Medium für mich entdeckt.  Mit Snapseed und Lightroom Mobil entstehen blitzschnell Wunderwerke, für die ich mit Photoshop Stunden benötigt hätte. In der Cloud greife ich von überall mit allem auf alle meine Fotos zu und das Wichtigste: die komplette Fotoausrüstung steckt in meiner Hosentasche. Das bereitet mir stille Freude, mehr und mehr. Vielleicht wird ja noch was draus, aber diesmal anders.



Sonntag, 19. Juli 2020

Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen



"Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen" sagte schon Johann Wolfgang von Goethe. Jetzt war ich also im Harz. Goethe war auch da, ist aber schon eine Weile her. So alt bin ich also jetzt schon - einmal quer übern Harz, vorgebuchte Hotelzimmer, Gepäcktransport, Lunch-Packet. Fehlt eigentlich nur noch, das jemand mit einer Fahne vorweg geht und schaurige, aber nicht allzu schaurige, Geschichten von Hexen erzählt, wir andächtig lauschen und nickend hinterher - so stellt man sich das doch vor, das Altern, und weit ist es dann auch nicht mehr zu Mofa....tschudigung, E-Bike. 


Ich will die Kirche im Dorf lassen - ganz so schlimm war es nicht. Es war unsere erste mehrtägige Wanderung überhaupt, Corona hatte Republik und Welt noch im Griff und eine Übernachtungsstätte mit Hund finden ist oft nicht trivial. Soviel zur Verteidigung. Gehen mussten wir übrigens auch selbst, außer ein paar Kilometer mit der Brockenbahn bergab und einer Rettungsaktion mit dem Taxi, aber dazu später mehr. 




Maske auf, ICE nach Göttingen, Bimmelbahnen bis Osterrode - das Hotel lag auf der anderen Seite der Stadt und überhaupt nicht malerisch. Osterode war es schon, jedenfalls das, was nach der Wende noch nicht zum zweiten Mal verfallen ist. Los war nicht viel, wir schlenderten ein paar Mal rauf und runter, erstanden eine bestellte Mitbringselwurst beim Fleischer, tätigten letzte Proviant Einkäufe in einem Drogeriemarkt und fanden fast keine Lokation fürs Abendessen. War halt nichts los dort. 


Ist ja dann doch immer aufregend, wenn es tatsächlich los geht. Ging es dann am nächsten Morgen und zur Eingewöhnung gleich mehrere Kilometer gediegen bergan. Der Pfad des Tages war eher mäßig interessant aber gut zu gehen. Wir stiefelten den Hexenstieg entlang und gleich auf der ersten Anhöhe, beim Verzehr eines Müsliriegels wurde mir plötzlich klar, worum sich alles beim Harzwandern dreht: Stempel mit dem Endziel Nadel. In kleinen vogelhausähnlichen Gebilden ruhte ein Stempel nebst Kissen. Klappe auf, Wanderpass raus, Stempel rein, breit Grinsen! Großartig! Hat man alle, gibt es die begehrten Wandernadeln. Weil das so phänomenal ist, gibt es Zeitgenossen, die bis zu 20 Wanderpässe im Rucksack mit sich führen und drauflos stempeln bis der Arzt kommt oder das Stempelkissen nichts mehr her gibt. Die Frage nach dem Sinn habe ich mir verkniffen, nicht mal selbst habe ich sie mir gestellt, alleine die Beobachtung dieses Fetisches war mir eine große Freude. 



Hotel war toll - Kuchen im Garten, abends was Wildes. Weil der Kuchen uns so gut geschmeckt hatte, packte die Hauswirtin noch jedem ein Stück ein, und für Lotte eine kleine Wurst. Die Harzer Wasserregale sind eine spannende Sache. Über viele Kilometer lange Gräben und Schächte wurden schon im Mittelalter unzählige kleine Stauseen gefüllt, die alle miteinander in Verbindung standen und mit deren Wasserkraft das Sickerwasser aus den Harzer Erzgruben gepumpt wurde. Das gesamte System ist mittlewerweile Welterbe und unbedingt sehenswert. 



Altenau - Bergstadt, Wintersportstadt, Kurstadt.....Wir saße auf einer Bank, knapp einen Kilometer oberhalb der Stadt, an der Bergstation eines Skiliftes und lauschten bei einem Butterbrot dem ununterbrochenen Röhren und Jaulen der zweirädrigen PS Ritter aus dem Tal. Es war Sonntag und diese Zumutung begleitete uns schon den ganzen Tag. Was berechtigt einzelne Personen aus purem Vergnügen halbe Landkreise zu beschallen? Es ist an der Zeit, diese Dinge in der Art zu verändern, das Sonntage wieder für alle ein Vergnügen werden.



Nein das war's noch lange nicht. Altenau bekommt jetzt richtig sein Fett weg. Bei der Hälfte der örtlichen Geschäfte waren die Schaufenster verhangen oder leer, bei der anderen Hälfte war die Auslage derart gruselig, dass man es sich gewünscht hätte. Unser Hotel war geschlossen. Klingel? Keine Reaktion. Anrufen! Ja genau. "Ich komme runter" war die knappe Antwort. Was dann kam wurde noch knapper. Hörbar wurde das Schloss geöffnet, die Tür selbst blieb jedoch verschlossen. Verstohlen äugten wir nach einer Weile hinein. "Frühstück ist acht bis zehn!" herrschte es uns aus dem Halbdunkeln an. Die Nase der Hexe deutete auf unser schon angeliefertes Gepäck und auf die Zimmerschlüssel. OK ...jeder hat eine zweite Chance verdient. Diese wurde dann beim Abendessen gnadenlos versemmelt, derart versemmelt, dass wir uns eine andere Lokation suchten. Bleibt noch zu erwähnen, dass der Supermarkt unter unserem Zimmer ab 3:30 Uhr beliefert wurde. Die Pizzeria, der wir uns nun zuwandten machte zunächst eine guten Eindruck. Freundlicher Kellner, was nettes auf der Karte, Sonnenschein, ein Fuchs, von Clausthal-Zellerfeld kommend, bog im Kreisverkehr Richtung Kirche ab und der klein gefliest, furchtbar illuminierte Stadtbrunnen wurde in Gang gesetzt. Die Zeit verging im Flug und nach, wir konnten das rekostruiren, 128 Minuten, antwortete der Kellner auf die Frage, wo denn nun unsere Pizza bleibe, er habe jetzt auch eine schwere Zeit gehabt mit Corona und so..... Da muss man halt seine Ansprüche etwas anpassen. Die Pizza Salami war dann auch ohne Salami aber mit Schinken und die Windbeutel zum Nachtisch kamen ohne die elementare Sahne aus. Corona.....is halt so. Altenau, das war fast so skurril, das man noch Mal hin muss um genau nachzusehen, ob das auch wirklich wahr ist.



Der nächste Tag stand uns ohnehin bevor. Die längste Etappe sollte heute kommen und nebenbei ging es hinauf auf den Brocken. Tatsächlich war es auch die schönste Tagesetappe. Nach dem Anstieg aus Altenau folgten wir noch eine Weile dem Dammgraben, einem der Hauptgewässer der Oberharzer Wasserregale, und gelangten dann Torfhaus, dem ehemaligen bundesdeutschen Spähposten, zum damals in der DDR gelegenen Brocken. Darauf folgte dann eine wundervolle Hochmoor Ebene bis zum letzten steilen Aufstieg auf den Brocken. Ich war wirklich angetan von der Schönheit der Landschaft. Ungefähr auf 1.000 Höhenmeter stampfte die Brockenbahn an uns vorbei. Die meterspurige Schmalspurbahn mit ihren immer noch Koks betriebenen Dampfloks macht ordentlich was her. Ungefähr auf gleicher höhe machte Lotte schlapp. Zu weit, zu viele Höhenmeter und dann bekam sie plötzlich auch schlecht Luft. Zum Glück ist Lotte kein Bernhardiner, ein paar hundert Meter tragen und sie konnte sich wieder regenerieren.




Das Brocken Hotel hat ein wenig Jugendherbergscharakter, das Essen war gut und die Bedienung sehr freundlich. Bis auf ein paar verwegene Rennradfahrer waren die Tagestouristen nun wieder im Tal. Es hat etwas erhebendes, im Abendlicht auf dem Brocken zu stehen. Obwohl es nur der Brocken ist, stellt sich nach einer Weile das Gefühl ein, auf dem Dach der Welt zu sein. In Sichtweite gibt es eben nichts, was höher ist. Für "Harzanfänger" sollte ich veileicht noch unser unverschämtes Glück erwähnen - die Sonne ging an diesem Tag am Horizont unter. Bei 300 Nebeltagen im Jahr, sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Ihr kennt das sicher - es gibt Orte die sind in einer Weise besonders, dass man es förmlich spürt. Dieses Micro-Stückchen Hochgebirge im norddeutschen Flachland gehört auf jeden Fall dazu.





Dass es nun mit dem Zug bergab gehe, statt der Bequemlichkeit zum Tribut, gestern bergan, hatte schon im Vorfeld für Unmut gesorgt. Bewaffnet mit neuen Wanderstöcken war Sabine der Aufstieg jedoch meisterhaft gelungen. Erstaunlich welchen Schub dieses einfache Hilfsmittel entfacht, ich habe es selbst ausprobiert. Heute jedoch priesen wir die Planung. Bis auf den letzten Platz ausgebucht war der erste Dampfzug, dessen Insassen schnell den Berggipfel überfluteten. Und wir? Wir hatten den Brocken über Nacht für uns gehabt und jetzt einen leeren Zug für die Abfahrt. Als alter Eisenbahnfan war ich äußerst angetan von der vorgespannten Dampfmaschine. Aus dem offenen Bereich des ersten Wagens beobachtete ich jedes Zischen, quitchen und Pfeifen mit Entzückung.



Ein paar Kilometer zu Laufen gab es auch an diesem Tag. Nach Rübeland! Rübeland klingt romantisch - das täuscht. Prägend ist ein riesiges Kalk und Zementwerk, das dem Ort ein staubiges Ambiente verleiht. Es gibt wohl auch noch eine Tropfsteinhöhle und ein Schaubergwerk, diese Attraktionen sind jedoch deutlich weniger präsent. Präsent war auch niemand im Hotel - malerisch an der gut frequentierten Hauptstraße gelegen. Das mit der Telefonnummer kannten wir ja nun schon und es funktionierte auch an dieser Stelle. Hier wurde gar die Tür fern geöffnet. Wir wurden in diesem  absolut leere Etablissement mit dem verkehrsgünstigsten Zimmer, gleich über dem Eingang, Straßenseite beehrt. Man könne sich Getränke zu regulären Preisen aus dem Kühlschrank nehmen und für den unwahrscheinlichen Fall, dass nach dieser Tageswanderung jemand Hunger verspüre, war vorgesorgt: Der Prospekt eines Pizza-Service lag aus. Puh! Erst mal duschen und in Deckung gehen, während Sabine zu Höchstformen auflief. Das erste Gespräch mit dem Reiseveranstalter endete mit "....aber wir wollen doch bitte höflich bleiben". - Wollten wir nicht - nachdem ich festgestellt hatte, dass es tatsächlich in diesem Ort nirgendwo etwas essbares zu erstehen gibt, führte das zweite Gespräch zu einer kurzen Taxifahrt in den übernächsten Ort. Hotel - klein, fein, ruhig, an eine Fluß gelegen UND mit warmer Küche. Na also - geht doch.



Der nächste Tag bescherte uns einmal mehr spannende Wege. Schmale Pfade führten durch Bergbauregionen, die teilweise schon seit Jahrhunderten aufgegeben waren und noch eine Ahnung von der Mühsal der damaligen Arbeit und des Transportes der Erze vermittelten. An anderer Stelle hatten Klimawandel in Kooperation mit Borkenkäfer ganze Arbeit geleistet. Der Weg führte längs von Stauseen durch Ex-Wald, soll heißen, durch sonnige Einöde. Es bleibt interessant, wie sich diese Landschaft entwickeln wird, die Zeit der Fichten ist jedenfalls vorbei.



Ein Schloß! Ja tatsächlich ein kleines Schloß, stand dort an der Bode, einem der Hauptflüsse des Harzes. Toll, weil das war unser  Hotel, großartig weil, die Verwandtschaft, samt ihrer beiden Hunde , saßen schon an einem Außentisch und schlürften Kaffee. Welch eine Freude. Das Hotel war so gut, dass er an diesem Tag überhaupt keinen Grund mehr gab, noch einen Fuß vor die Tür zu setzen. Für alles war gesorgt, an alles war gedacht. Wir hatten einen rundum schönen Abend und plumpsten satt und müde in plüschige 4-Sterne-Betten.



Die 6. und letzte Etappe, durch das schroffe Bode Tal meisterten wir zu siebt, vier Menschen und drei Hunde. Im letzten Abschnitt dieser Etappe, unterhalb des Hexentanzplatzes, ist die Landschaft mehr als beeindruckend - ganz ohne Frage. Aber wie das so ist, wenn etwas beeindruckend ist, dann muss man es mit vielen Teilen. Persönlich hat mir der Menschenauflauf dort keine Freude gemacht. Lieber etwas weniger spektakulär, dafür einsamer und wilder. Auf dieser Tour war alvon allem was dabei, ich kann mich also nicht beklagen, schon gar nicht, weil diese Woche als verregnet ausgeschildert war und wir tatsächlich unsere Regenjacken nur im Rucksack spazieren trugen.


Zwei nächte Quedlinburg gönnten wir uns zum Abschluß. Hier wurde es dann sogar richtig heiß und man konnte gemütlich abends in der Stadt bei einer Bio-Kräuter-Limonade sitzen und angeregte Gespräche führen. Wer es noch nicht weiß? Auch Quedlinburg ist unbedingt eine Reise wert.


Fazit: Das war bestimmt nicht unsere letzte  "Immer-weiter-Wanderung", denn wir haben ja jetzt die begehrte Harz Wandernadel und ganz nebenbei hat es auch Spaß gemacht. Nächste Veranstaltung: 2 Tage Nordeifel Täler im August, den nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.












Samstag, 11. Juli 2020

Else 2.0




Zwei Jahre fahre ich nun schon zur Sommerfrische in die Lüneburger Ostheide. "Else", der Wohnwagen, den ich einem polnischen Petrijünger quasi am Straßenrad abgekauft hatte war ein Experiment. Würde ich das Vehikel fleißig nutzen, oder würde es sich abnutzen? Abgenutzt hat es sich im wahrsten Sinne des Wortes. Da ich neben Erbsen auch Tage im Wohnwagen zähle, kann ich sagen, in den letzten beiden Jahren war ich an 142 Tagen dort, auch bei Regen, auch im Winter, auch wenn niemand anderes auf dem Campingplatz war.


Am Ende war Else 31 Jahre alt und hatte 1.000 Wehwehchen. Mehrmals schon drohte mein geliebtes Auszeit-Domizil den Dienst zu quittiren. Innen feucht, verpatzte B-Note bei der Gasprüfung, wintertags allenfalls leidlich warm und überhaupt - da musste was neues her, soviel war klar. Meine Auszeiten, die vielen Stunden im Wald, in der Hängematte oder mit dem Fahrrad an der Elbe, sind mir zur lieben Gewohnheit geworden. Mangelnder Komfort, fehlendes Internet, mühsame Wege haben mich nie abgehalten. Lediglich das Kleingeld fehlte nun für einen Neukauf.


Mit einem kleinen Klimmzug hat es dann doch geklappt: Voila, "Else II". Das Nachfolgemodell ist nur halb so alt eine ganze Ecke größer und strotzt vor Luxus. Chickes Bett, feine Polster, Kühlschrank mit Gefrierfach, Heißwasser und Dusche, Backofen und Fußbodenheizung. Schräke von innen beleuchtet, Alarmanlage, Markies und sogar eine Fernbedienung für' s Licht. Ich kann den vielen Luxus kaum fassen und freue mich fast schon auf die kuschelig warmen langen Winternächte, in denen man eine Stecknadel fallen hört, mit einem Buch unter der Bettdecke. 


Nach einem Tag schuften und räumen werde ich jetzt das Restwochenende hier genießen....naja, zu tun gibt es bekanntlich immer was und morgen erwarte ich auch schon den ersten Besuch bei "Else II". Lediglich Lotte hat noch nicht so recht ihr Plätzchen gefunden, aber wir arbeiten intensiv daran.


Samstag, 2. Mai 2020

Wie geht es uns denn heute?


Als ich vor 30 Jahren, in einer Kleinstadt nahe Köln, im Rahmen meiner Pflegeausbildung, im Krankheitslehre Unterricht saß und genüsslich an meiner Gauloises zog (ja - das glaubt einem heute niemand mehr, wir hatten damals im Unterricht alle einen Aschenbecher auf dem Pult stehen, aber Kaffee trinken war verboten, dazu gab es schließlich Pausen), und unser Dozent ausschweifend über Pandemien eiferte, dachte ich: "Wow!", zog noch einmal am Glimmstengel, blies den Rauch ehrfürchtig nach oben, bevor ich die Kippe sorgsam ausdrückte, und weiter: "...so etwas gibt es ja eigentlich nur in der Theorie und kommt in freier Wildbahn nicht vor." Heutzutage doch nocht mehr?


Ich muss gestehen, ganz ernst nahm ich das Mitte März noch nicht. Erst als die Deutsche Bahn Superdupersparpreis - Tickets für alle Züge freigab und gar die Rücknahme anbot, fröstelte es mich ein wenig und dich dachte, es sei nun an der Zeit, den Nachhauseweg zeitnah anzutreten. Das drohte ernst zu werden, das musste es sein, was Dr. R. (von uns liebevoll, auch wegen seines schwierigen persischen Namens) "Retzi" genannt, uns damals plastisch darlegte.


Und dann ging alles ganz schnell: Kneipen, Geschäfte, Hotels dicht, Abstend halten, Mundschutz - Hamburg stand still, zentrale Orte - wie leer gefegt. Unheimlich alles, ich traute mich kaum noch zu atmen. Das allgemeine Motto war #ichbleibzuhaus / #stayathome. Wie gruselig! Es hat dann noch ein paar Tage gedauert, bis ich verinnertlicht hatte worum es eigentlich ging. Verabredungen und Veranstaltungen aller Art, die überwiegend, oder ausschließlich, dem kollektiven Konsum toxischer Flüssigkeiten bei meist ohrenbetäubendem Lärm unter Missachtung meiner persönlichen Wohlfühldistanz dienen, meide ich schon seit vielen Jahren. Shoppingausflüge finden bei mir, wenn mögliche, schon lange im weltweiten Web statt. Wenn ich die Wohnung verlasse, was ich nach wie vor gerne tue, dann dient das meist dem Zweck des "social distancing" und, auch wenn es etwas paradox klingt, manchmal treffe ich mich zu diesem Zweck mit gleichgesinnten.



Der einzige Termin, der in nächster Zeit anstehen würde, der Termin bei meinem Zahnarzt, wurde wegen mangelnder Schutzausrüstung abgesagt. Nur zur Arbeit gehe ich tapfer - systhemrelevant! Die Ansage des Arbeitgebers ist klar: so wenig Kontakt wie möglich, so viel wie nötig. Die Umsetztung gelang mir perfekt. Ich habe nichts mehr zu tun. Das Angebot, meine Fähigkeiten auch an anderer Stelle einzusetzen steht.....und steht.....und steht. Die Idee, bei Zeiten einmal Dinge zu tun, wie z.B. Urlaubsfotos vom letzten Jahr zu sortieren, steht auch, allein die Zeit fehlte bisher dazu.


So zieht es mich also in der freien Zeit nach wie vor hinaus. Nicht weit weg, eher in die nunmehr leere Stadt. Dabei stellt sich bei mir ein erstaunlich wohliges Gefühl ein. Gegenden, die ich seit Jahren meide, weil der Touristenstrom in normalen Zeiten schier unerschöpflich ist, gefallen mir , leer wie sie sind,wieder. Bei meinen Zügen durch unseren Stadtteil enfällt das Spießrutenlaufen durch die Fressmeile, Geschäfte mit unnötigem Plunder sind lange schon zu. Morgens auf dem Weg mit dem Fahrrad zur Arbeit höre ich die Möwen schreien, mittags im Park haben die Vögel eine Chance gegen den Verkehrslärm und abends, nach 20:00 Uhr, wenn auch die letzten Fremden das Viertel verlassen haben, bilde ich mir ein, die Nachtigal singt nur für mich. Alles ist leiser, alles ist langsamer, es fühlt sich ein weing wie in einer wohligen Glocke an und wenn ich nachts auf der Dachterasse stehe leuchten die Sterne viel heller als sonst. Was mir derzeit am meinsen fehlt ist der Wald und mein Wohnwagen in der Lüneburger Heide. Jammern auf hohem Nieveau.



Bitte versteht mich nicht falsch. Ich weiß um die Not vieler. Nachbarn mit Kindern zu Hause bei Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Geldsorgen, Existenzielle Kriesen, Krankheit, Tod  - das entgeht mir selbstverständllich nicht, das beschäftigt mich Tag und Nacht. Aber, um zur Eingangsfrage zurück zu kehren: gut - vielleicht sogar sehr gut und ich hoffe (auch mit Blick auf die uns unvermindert drohende Klimakatastrophe), dass es nie wieder so wird wie es war.