Samstag, 24. Februar 2018

Mit einem Dreifinger-Faultier durch den Duvenstedter Brook



Der Duvenstedter Brook ist ein Naturschutzgebiet am nordöstlichen Zipfel des Hamburger Stadtgebietes. Man liest immer mal wieder in der lokalen Presse davon, irgendwie war es mir ein Begriff, aber dort gewesen war ich noch nie. Das sollte sich am heutigen Samstag ändern. Minusgrade und strahlender Sonnenschein schienen mir perfekt für einen weiteren abenteuerlichen Ausflug mit dem Hund. 


Das mit dem Abenteuer ging dann auch ganz fix. Gerade in Ohlstedt aus der U-Bahn gestiegen und erst wenige Meter in den Wohldorfer Wald eingebogen ließ mich ein Geräusch Herumfahren. Was sich wie eine Büffelherde anhörte war in Wirklichkeit eine Wildschweinrotte, die nur wenige Meter hinter uns aus dem Unterholz brach und über den Waldweg preschte. Ein halbes Dutzend Bachen mit Einjährigen trabten zügig vorüber. Lotte setzte zum Tiefflug an. Nach 5 Metern bewegte sie sich quasi schwebend Richtung Schwein. Etwas panisch blies ich die kleine Pfeife am Rucksack. Lotte landete abrupt und kam sich fast schon gemütlich ihr Leckerli abholen. Ich war mir nicht sicher ob ich mich meiner Begeisterung darüber hingeben sollte oder schnell noch aus der Hüfte ein paar Fotos von den Schwein schießen sollte. Multitasking war angesagt. 


Nach gut fünf Kilometern Wegstrecke begann der Duvenstedter Brook. Da war doch was, ich erinnerte mich blass aber auch diverse Schilder am Wegesrand waren unmissverständlich: absolutes Hundeverbot im gesamten Naturschutzgebiet. Das ist ein Problem, gerade, wenn man eine Wanderung so ausgelegt hat, dass man sein Ziel mit Endes des Tageslichts erreichen würde und es keine beschilderte Ausweichroute gibt. Ich beschloss Lotte an die Leine zu nehmen und weiter zu gehen. Schon seit mehr als einer Stunde hatte ich keinen Menschen mehr gesehen und so sollte es auch in den nächsten beiden Stunden bleiben. Würde es schlimm kommen, könnt man mir eine Ordnungswidrigkeit nachsagen, aber dazu müsste es ja erst einmal kommen. Außerdem beschloss ich, das Lotte gar kein Hund sondern ein Dreifinger-Faultier sei, wie man sicherlich gleich erkennen würde, wenn man einen gewisse Grad von Allgemeinbildung besäße. Ein Explizites Dreifinger-Faultier-Verbot gab es im Schutzgebiet jedenfalls nicht. 


Der Duvenstedter Brook entpuppte sich als bemerkenswert schöne Landschaft. Naturbelassene Waldabschnitte mit viel Totholz wechselten mit sumpfigen und steppen artigen Gebieten. Bei diesem Kaiserwetter war das sehr schön anzusehen. 


Der Naturgenuss war nahezu ungetrübt. Nahezu, weil vom Flughafen Fuhlsbüttel (der jetzt Helmut Schmidt heißt), ab und an ein Flieger geräuschvoll vorüberzog und die Sache mit dem Dreifinger-Faultier ließ mich auch nicht wirklich zur Tiefenentspannung finden. Immerhin hatte Lotte heute keine Chance sich in irgend einem Schlammloch zu amüsieren. Der Erdboden war überwiegend gefroren und den Rest erledigten wir mit der Leine. 


Nach drei Stunden war es an der Zeit für ein kleines Picknick. Ein Hochstand bot sich als trockene, windgeschützte Sitzmöglichkeit an. Es gab Apfelkrapfen und heißen Kaffee, während sich Lotte die Zeit damit vertrieb, am Horizont vorbei fahrende Autos anzuknurren. Manchmal hat sie doch sehr seltsame Macken. 


In Ohlstedt zurück fuhr mir die U-Bahn vor der Nase fort. Das war der Ausgleich für die Hinfahrt, wo ich die U1 in der heimischen Lohmühlenstraße punktgenau traf. So stand ich also noch eine Weile auf dem Bahnsteig herum und dachte über den vergangenen Winterwandertag nach. Sicher würde ich hier noch einmal her kommen, aber Lotte würde ich dann zu Hause lassen, Am Ende war mir das doch ein wenig zu viel Aufregung. 





Donnerstag, 8. Februar 2018

Jeetzel Auen


Das hatte man sich ja fein ausgedacht, den über Jahrzehnte gesammelten deutschen Atommüll im letzten Winkel der Republik zu verscharren, dort wo (fast) niemand mehr wohnt und gleich die DDR anfängt, also dort wo es nun wirklich niemanden interessiert bis Gras drüber gewachsen oder der Salzstock eingestürzt sei. Da hatte man jedoch den Strich zu früh unter die Rechnung gezogen. Die Wenden entpuppten sich als zähe Kämpfer für ihren wundervollen Landstrich und im Laufe der Geschichte ergab es sich, dass aus ganz am Ende das Mittendrin wurde. 


In Dannenberg, wenige Kilometer vor dem Acker, auf dem der strahlende Müll, unter einer Plane, auf eine gute Idee wartet, endet die Wendlandbahn. Der Erixx fährt nur alle drei Stunden, die Infrastruktur lässt einen dichteren Takt nicht zu. Da muss man sich halt drauf einstellen. Das Tolle ist, die Bahnstrecke liegt noch im Hamburger Verkehrsverbund und ich muss am Wochenende für die Fahrt nichts zahlen. 


Für den Anfang, bei nass-winterlichen Wetterverhältnissen, reichte mir eine drei Stunden Wanderung völlig aus. Der Blick auf die Landkarte, bei der Planung am Tag zuvor, ließ zunächst nichts höchst spannendes erwarten. Dem Unterlauf der Jeetzel wollte ich folgen und dann von Hitzacker mit der Bahn wieder zurück nach Hamburg fahren. Fertig!



Lotte war guter Dinge. Nach einer für sie langweiligen Woche im Büro ging es heute endlich wieder auf Reisen. Wenn ich den kleine Wanderrucksack packe, dann weiß sie gleich was los ist. Thermosflasche, Akkus, Handy, GPS-Gerät, ein paar Bonbons und die Leckerlis - Aufbruch! Ab Lüneburg wird die Bahnfahrt gemächlich und man hat die Zeit, sich auf das Wendland einzustimmen. Es fühlt sich dann auch an, wie irgendwo zwischen Mittelalter und 1980. Man kann es nicht so recht beschreiben, man muss es sich ansehen und spüren. 


Auf einer ehemals kopfsteinpflasternen Allee verließ ich Dannenberg und mit jedem Schritt weitete sich mit der Landschaft auch mein Herz. Fast ehrfürchtig blieb ich stehen und konnte es gar nicht fassen. War ich in einem Film von Heinz Sielmann gelandet? Nein, das war nicht die Serengeti, das war das Wendland und es war feucht und es schneite leicht, aber sonnst stimmt alles. Ein Rudel von mehr als 30 Rehen stob aufgeschreckt davon und rannte mitten hinein in einen riesigen Gänseschwarm, der sich aufgeregt in den Himmel erhob. Wow! Welch ein Bild! Zwei Kraniche die auf Tuchfühlung über mich hinweg flogen machten das Bild perfekt. 


Giraffen, Antilopen, Löwen, Elefanten, in meiner Fantasie hätte alles in diese Landschaft gepasst -  nur wie gesagt, es war Winter und ich war im Wendland. Wir genossen jeden Meter. Lotte mühte sich redlich, die Pfützen zu umgehen, aber bald hatten sich doch kleine Eiszapfen im Fell gebildet. 



Zwischen Nienwedel und Seerau hatte das Winterhochwasser die Jeetzel zu einem breiten Strom anschwellen lassen. Während das Schneetreiben dichter wurde legten wir an einer geschützten Stelle eine kleine Kaffeepaus ein um dabei mit Muße die Landschaft zu betrachten. In meine ganzen bisherigen Leben hatte ich noch nie so viele Rehe gesehen wie an diesem einen Tag und das spektakuläre an dieser Landschaft ist, dass es hier nichts gibt, aber davon eine ganze Menge.    


Ziemlich glücklich stieg ich in Hitzacker wieder in die Wendlandbbahn. Der Zug war noch auf dem Hinweg nach Dannenberg, aber wozu in der Kälte stehen? Aus dem Fenster schaute ich im vorüberfahren noch zwei Mal hinaus in die weiten Jeezel Auen. Mir kam so eine Idee davon, warum mein Ex-Nachbar vor ein paar Wochen aus dem hippen St. Georg zum Atommüll ins Wendland gezogen ist.