Samstag, 2. Mai 2020

Wie geht es uns denn heute?


Als ich vor 30 Jahren, in einer Kleinstadt nahe Köln, im Rahmen meiner Pflegeausbildung, im Krankheitslehre Unterricht saß und genüsslich an meiner Gauloises zog (ja - das glaubt einem heute niemand mehr, wir hatten damals im Unterricht alle einen Aschenbecher auf dem Pult stehen, aber Kaffee trinken war verboten, dazu gab es schließlich Pausen), und unser Dozent ausschweifend über Pandemien eiferte, dachte ich: "Wow!", zog noch einmal am Glimmstengel, blies den Rauch ehrfürchtig nach oben, bevor ich die Kippe sorgsam ausdrückte, und weiter: "...so etwas gibt es ja eigentlich nur in der Theorie und kommt in freier Wildbahn nicht vor." Heutzutage doch nocht mehr?


Ich muss gestehen, ganz ernst nahm ich das Mitte März noch nicht. Erst als die Deutsche Bahn Superdupersparpreis - Tickets für alle Züge freigab und gar die Rücknahme anbot, fröstelte es mich ein wenig und dich dachte, es sei nun an der Zeit, den Nachhauseweg zeitnah anzutreten. Das drohte ernst zu werden, das musste es sein, was Dr. R. (von uns liebevoll, auch wegen seines schwierigen persischen Namens) "Retzi" genannt, uns damals plastisch darlegte.


Und dann ging alles ganz schnell: Kneipen, Geschäfte, Hotels dicht, Abstend halten, Mundschutz - Hamburg stand still, zentrale Orte - wie leer gefegt. Unheimlich alles, ich traute mich kaum noch zu atmen. Das allgemeine Motto war #ichbleibzuhaus / #stayathome. Wie gruselig! Es hat dann noch ein paar Tage gedauert, bis ich verinnertlicht hatte worum es eigentlich ging. Verabredungen und Veranstaltungen aller Art, die überwiegend, oder ausschließlich, dem kollektiven Konsum toxischer Flüssigkeiten bei meist ohrenbetäubendem Lärm unter Missachtung meiner persönlichen Wohlfühldistanz dienen, meide ich schon seit vielen Jahren. Shoppingausflüge finden bei mir, wenn mögliche, schon lange im weltweiten Web statt. Wenn ich die Wohnung verlasse, was ich nach wie vor gerne tue, dann dient das meist dem Zweck des "social distancing" und, auch wenn es etwas paradox klingt, manchmal treffe ich mich zu diesem Zweck mit gleichgesinnten.



Der einzige Termin, der in nächster Zeit anstehen würde, der Termin bei meinem Zahnarzt, wurde wegen mangelnder Schutzausrüstung abgesagt. Nur zur Arbeit gehe ich tapfer - systhemrelevant! Die Ansage des Arbeitgebers ist klar: so wenig Kontakt wie möglich, so viel wie nötig. Die Umsetztung gelang mir perfekt. Ich habe nichts mehr zu tun. Das Angebot, meine Fähigkeiten auch an anderer Stelle einzusetzen steht.....und steht.....und steht. Die Idee, bei Zeiten einmal Dinge zu tun, wie z.B. Urlaubsfotos vom letzten Jahr zu sortieren, steht auch, allein die Zeit fehlte bisher dazu.


So zieht es mich also in der freien Zeit nach wie vor hinaus. Nicht weit weg, eher in die nunmehr leere Stadt. Dabei stellt sich bei mir ein erstaunlich wohliges Gefühl ein. Gegenden, die ich seit Jahren meide, weil der Touristenstrom in normalen Zeiten schier unerschöpflich ist, gefallen mir , leer wie sie sind,wieder. Bei meinen Zügen durch unseren Stadtteil enfällt das Spießrutenlaufen durch die Fressmeile, Geschäfte mit unnötigem Plunder sind lange schon zu. Morgens auf dem Weg mit dem Fahrrad zur Arbeit höre ich die Möwen schreien, mittags im Park haben die Vögel eine Chance gegen den Verkehrslärm und abends, nach 20:00 Uhr, wenn auch die letzten Fremden das Viertel verlassen haben, bilde ich mir ein, die Nachtigal singt nur für mich. Alles ist leiser, alles ist langsamer, es fühlt sich ein weing wie in einer wohligen Glocke an und wenn ich nachts auf der Dachterasse stehe leuchten die Sterne viel heller als sonst. Was mir derzeit am meinsen fehlt ist der Wald und mein Wohnwagen in der Lüneburger Heide. Jammern auf hohem Nieveau.



Bitte versteht mich nicht falsch. Ich weiß um die Not vieler. Nachbarn mit Kindern zu Hause bei Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Geldsorgen, Existenzielle Kriesen, Krankheit, Tod  - das entgeht mir selbstverständllich nicht, das beschäftigt mich Tag und Nacht. Aber, um zur Eingangsfrage zurück zu kehren: gut - vielleicht sogar sehr gut und ich hoffe (auch mit Blick auf die uns unvermindert drohende Klimakatastrophe), dass es nie wieder so wird wie es war.