Mittwoch, 12. Juni 2019

Puh!



Eine 100 km Tour sollte es werden. "Puh! da muss ich diesmal passen, keine Kondition!" Die Ereignisse im Frühjahr hatten ihre Spuren hinterlassen. Zu einem Zeitpunkt im Jahreslauf, zu dem ich normalerweise zum Leistungshoch neige, fühlte ich mich in diesem Jahr allenfalls rudimentär fit. Die Tour am Frohnleichnahmswochenende musste ohne mich stattfinden. 



Die Idee steht vor der Tat. Wenn niemand zuschauen würde und ich das Tempo selbst bestimmen könnte, dann könnte ich doch alleine.... gedacht, gemacht. Einmal die Elbe hoch bis Bleckede und dann nach Westen Richtung Wohnwagen. 101 km, ich würde es ja gemütlich angehen können und mich danach sicherlich besser fühlen. Auf den Deichen der Doven Elbe folgend, über die Schleuse in Geesthacht hinüber, einem Atomkraftwerk und topografischen Unannehmlichkeiten ausweichend bis Lauenburg rollen und dann wieder die Elbseite wechseln. So war der grobe Plan.


In Boizenburg gelüstete mich nach einem Eis. An der Eisklappe orderte ich einen Schokobecher und einen Pott Kaffee. "...und können sie mir bitte die Wasserflasche mit Leitungswasser auffüllen?" - "Nö!" - "Bitte?" - "Nö, machen wir nicht!" - "Entschuldigung, ich bin Kunde, bin auf der Durchreise und habe gerade bei ihnen etwas käuflich erstanden, da könnten sie doch...." - "Nö, sie können sich ja ein Fläschchen kaufen" (200 ml 2,00€) 
Ich konnte mir so gerade noch die Bemerkung verkneifen: " ....ja sicher, und sie haben doch bestimmt letzten Sonntag auch die AfD gewählt?" Ich muss schon sagen das traf mich hart. Die Bitte als Radreisender,  eine Wasserflasche mit Leitungswasser aufzufüllen hatte mir auf quasi zwei Weltumrundungen noch niemand ausgeschlagen. Ich war entsetzt und trottete von dannen, zu einem der sechs freien Tische auf der alten Laderampe, löffelte etwas missmutig mein Eis und wollte gerade am Kaffee schlürfen, als sich eine ältere Dame, mit ihrem Enkelkind an den einzigen nicht freien Tisch dieses Ladens, nämlich meinen, setzte. Ohne mich anzusehen, ohne zu fragen, ohne Gruß, offenbar ganz ohne von mir Notiz zu nehmen. Nun war mir endgültig klar: hier ticken die Leute anders, das übersteigt meinen Horizont. 


Dass ich dieser Oma am heutigen Tage noch sehr dankbar sein würde, wusste ich indes noch nicht, als ich reichlich Irritiert wieder auf meinen Renner stieg. Rückenwind, Sonnenschein, Deich, Ruhe, nur das Surren der Kette und die vorbeiziehenden Elbauen. Schnell hatte sich mein Gemüt wieder beruhigt. Was gibt es schöneres als mit dem Liegerad über den Deich zu gleiten? Es lief so gut. So gut lief es, dass ich beschloss noch einen drauf zu legen und die Elbe erst wieder in Darchau zu queren. Schwupp auf die Fähre und.....ja wo ist denn das Portemonnaie, wo ist denn dieses verdammte  Portemonnaie. Wieder ein Novum in meinem doch nun schon leidlich lange andauernden Leben, ich hatte zum ersten Mal mein Portemonnaie verloren. Drei Rennradfahrer hatten Mitleid und zahlten den Fährmann. 


Am anderen Ufer trank ich meinen letzten Schluck Wasser und kippte die Tasche aus. Dass ich mir keine zu großen Hoffnungen mehr gemacht hatte beruhte auf  einer realistischen Einschätzung. Die Geldbörse musste auf der anderen Seite sein, und zwar dort, wo ich mich zwei Stunden vorher so furchtbar geärgert hatte. Wenn, dann dort. Kein mobiles Internet, weder im E noch im D Netz. War ja klar, schließlich befand ich mich in der Ostheide. Nach Hause anrufen ging noch. Eisklappe, Hafen, Boizenburg.....gibts nicht! Verdammt! Nein, da ist nur ein Grieche auf der Google Karte, definitiv kein Eis! Die Auf den mutmaßlich weiteren Verlauf des Tages ließ die Stimmung erneut sinken. Der Fährmann musste mich wieder rüber fahren. Tat er auch netter Weise. Ich versprach beim nächsten Mal doppelt zu zahlen. 



Wat nu? Ich überquerte die Straße und ging zum örtlichen Fährhaus. Ein Man in der in der Tür stand und aussah, als habe er irgendetwas mit dem Laden zu tun, erlaubte mir meine Wasserflaschen (kostenlos, haha, ich hatte ja kein Geld) aufzufüllen. Beim hinausgehen klagte ich im noch mein Leid. Ja genau, die Eisklappe gehöre zu einem Hotel, das sei sozusagen am Hintereingang. Die Telefonnummer fand er schnell in einem Touristenführer und ich solle da doch mal flux anrufen. 
"Ah, sie haben es wohl klingeln hören, wir haben gerade bei ihnen zu Hause angerufen, die Nummer hatten wir bei Facebook gefunden..." Mir fiel ein Stein vom Herzen. 


Fast zwei weitere Stunden brauchte ich, nun bei Gegenwind, zurück. Mit nun doch schwerer werdenden Beinen und mit leichtem Herzen. Geld, Plastikgeld, Führerschein, Ausweis, kurz malte ich mir aus, was das bedeutet hätte. "Hat eine ältere Dame mit einem kleinen Kind abgegeben,....nein ist uns unbekannt, ...ach was, brauchen sie nicht, war das dritte Portemonnaie, das heute hier abgegeben wurde... alles gut". Puh! Ich kaufte dann noch eine große Flasche Wasser, die ich auf einer einsamen Brücke genüsslich und gefühlt beschenkt hinunter gurgelte während ein Kuckuck kuckuckte und ein alter Angler, der wie er sagte, auf Aal aus war, vorbei schluffte. 


Nur noch zurück zur Fähre (diesmal Bleckede) und dann noch die knapp 20 Kilometer bis zur Else. Ich war redlich fertig als der Tag sich zu Ende neigte, aber mehrfach glücklich. 152 km zeigte die Uhr. Ich kann es noch. Die Nacht war dann die erste ohne Lotte im Wohnwagen. Ich muss schon sagen, da fehlt was, und sei es, dass jemand im Weg steht und hungrig guckt.

Nach, wie immer, hervorragendem Frühstück auf dem Heidehof war der kurze direkte Rückweg ein leichter. Natürlich kreisten die Gedanken im weiten Bogen um das, was immer so passiert und mit einem lächeln auf den Lippen fand ich, dass ich ganz schön oft auf die Füße falle und eigentlich noch nie untergegangen bin.