Montag, 20. August 2018

Mitternachtssonne




Norwegen ist das schönste Land der Welt - Punkt! Ja -  so einfach ist das, und wer es nicht glaubt kann hinfahren und sich überzeugen. Haben wir gemacht, vor fünf Jahren und ziemlich genau so lange währte die Sehnsucht nach der Mitternachtssonne, nach Weite, nach wunderbarem Nichts. Es müssen nicht einmal die spektakulären Ecken und Enden diese Landes sein, wie sich herausgestellt hat, jedoch muss ich gestehen, das Norwegen auch für eine Sehnsucht steht, die sich nie befriedigen lassen wird.


Natürlich waren da wieder die Frage: "Wollen wir uns das wirklich antun?" Kälte? Nässe? Viele Tausend Kilometer anstrengende Autofahrt? Preise die den Atem stocken lassen? Es hat schon eine Weile gedauert, aber dann war es auch ein klares "Ja!" Ja wir machen das. Die norwegische Krone ist derzeit im Keller. Einkaufen am Polarkreis ist also nicht mehr mit Schnappatmung verbunden. Und dann dieser Sommer, der Sommer 2018, war auch auf den Lofoten eine Pracht. Bei Tagestemperaturen zwischen 12 und 17°C riss sich manch Eingeborener die Klamotten vom Leibe um in der Sonne zu wandeln und der als ständiger Begleiter bekannte Wind war in diesem Jahr nicht der Rede wert. Regen? Ja, eineinhalb Mal in gut drei Wochen. Zum ersten Mal, als wir Narvik besichtigen wollten, das Ansinnen endete zunächst auf der unteren Stufe der Autotür und wurde dann gänzlich verworfen und ein halbes Mal gegen Ende des Urlaubes in Schweden. Da wäre das furchtbar eingestaubte Wohnmobil bei nächtlichem getröpfele fast wieder sauber geworden. 


Der Vogelflugline folgend, durch Dänemark nach Schweden (die Fähren waren leider doppelt so teuer wie in unserer Erinnerung) arbeiteten wir uns längs der großen Seen über den Inladsvägen, der längsten Straße des Landes hinauf bis Kiruna. Kiruna, das klingt so schön. Kiruna hat den Brettercharme, den fast alle Städte und Dörfer des hohen Nordens haben. Dennoch ist Kiruna besonders, unterhöhlt vom jahrzehntelangen Erzabbau droht der Einsturz der gesamten Stadt und um dies zu vermeiden soll diese Stadt abgebaut und an anderer Stelle wieder errichtet werden. Ich kenne solche Dinge aus dem rheinischen Braunkohlerevier, aber an eine die Ausmaße sind dort bescheidener. 


Schwere Erzzüge, gezogen von je drei der stärksten Elekrtoloks die Mensch gebaut hat, polterten im regelmäßigen Abstand hinter uns vorbei über die Berge in den stets eisfreien Hafen nach Narvik während im Norden die Sonne über einem langgestreckten See erstmalig nicht unter ging. Welch schöner Einstand. 


Bis zu den Lofoten war es nun nicht mehr weit. Die Inselgruppe, mit ihren, von der letzten Eiszeit nicht abgeschliffenen spitzen, Zinnen, hatte es uns auf unserer letzten Reise in den hohen Norden schon angetan und nun wollten wir mehr Zeit hier verbringen. Recht bald wurde uns jedoch klar, hier ist nichts mehr so wie es war. Auf den Straßen fuhren Wohnmobile in Kolonnen, ruhige Plätzchen waren kaum zu finden, ja man konnte gar beobachten, wer welchen Reiseführer besitzt. An einem Strand, an dem wir vor einem halben Jahrzehnt noch mit Joschi alleine spazieren gingen herrschte fast schon drangvolle Enge. Während viele Festlandseuropäer offenbar die weite Anreise scheuten, wurde die Inselgruppe von Skandinaviern, überwiegend Schweden, geradezu geflutet. 


Wie schade! Wir hatten doch Einsamkeit gesucht. Frühzeitig erreichten wir schon das Städtchen Å am Ende der Europastraße 10, ganz im Süden der Lofoteninseln. Hier, wo es nicht mehr weiter ging, wurde es dann richtig eng und an einspurigen Straßenabschnitten und Brücken staute sich der Verkehr zurück. Die Stimmung war am Boden. Wieder war kein den Ansprüchen genügender Übernachtungsplatz gefunden. Der Entschluss stand: nichts wie weg hier. 


Senya, gut 200 km nördlich, kennt keine Sau, ist aber genau so schön. Mit einer kleinen Fähre verließen wir die Lofoten und unsere Rechnung ging tatsächlich auf. Feinste Plätze für das Übernachten, schöne Wanderungen und Elche die in Vorgärten sonntags morgens Blumen fressen. Waren auf den Lofoten noch 8 von 10 Autos Wohnmobile so waren auf Senya kaum noch Mobilcamper unterwegs. Nur an ausgewiesenen Hotspots gab es ein paar mehr. So verlebten wir noch ein sonnig, zufriedene Tage ganz  weit oben in Norwegen. 


Die Stadt Tromso wusste mit ihrer Architektur, und dem, bei für norwegische Verhältnisse ausgewiesenen Affenhitze, nahezu mediterranen Straßenleben zu überraschen. Eine letzte Nacht noch verbrachten wir an einem Fjord mit phantastischer Aussicht und Mitternachtssonne, bevor wir uns über die Gebirgskette hinüber nach Finnland verabschiedeten. 


Das mitgenommene Fahrrad war die gesamte Zeit nicht zum Einsatz gekommen. Bergiges Terrain, unbeleuchtete Tunnel, unsichere Wetterlage, Verkehrsdichte und schlichtweg zu wenig Zeit waren die Gründe. Nun aber musste es sein. Einmal den norwegisch-finnischen Grenzstein umrunden und auf der E8 Richtung Südwesten gleiten. Endlose geraden, zunächst noch hügelig später lappländisch flach. In nur 5 Stunden war ich 125 km dahin gebrettert und überfuhr die Grenze nach Schweden in Karesuando. Welch ein Ritt! Genau das Maß an Bewegung, das ich jetzt brauchte. 


Lappland wurde seinem Ruf mehr als gerecht. Die Mücken prasselten wie Regentropfen gegen das Wohnmobil und schon bald war das Weiß von Blut und Geflügel überzogen, An Aussteigen war gar nicht zu denken, nicht mal zum Pipi machen. Eine Nacht noch wollten wir in Finnland bleiben um dann am nächsten Tag dem Grenzfluss Richtung Bottnischen Meerbusen zu folgen. Schon kurz nach Mittag fanden wir ein bezauberndes Plätzchen am  Kätkäsuvantu. Am Fluss war ein liebevoller Rastplatz hergerichtet, mit Schlafmöglichkeit, Grill, Toilette und allem was Mensch in der Wildnis so brauchen könnte. Ein Platz von Menschen für Menschen, ganz umsonst und an diesem Sonntagnachmittag ganz für uns alleine. Das kühle Wasser an der nackten Haut vorbei fließen lassen, in der Sonne trocknen, ein Kaffee, das Grillfeuer entfachen und mitgebrachten Fisch grillen. Welch ein schöner Nachmittag. Wir mochten uns kaum trennen, mussten aber noch ein paar Kilometer auf dem begonnenen Nachhauseweg zurück legen, um am Ende nicht in Bedrängnis zu geraten. 


Die Autobahn entlang der Ostsee war im Vergleich die eindeutig schlechtere Wahl. Meist war die See nicht zu sehen und der Verkehr war relativ grässlich. Auch gab es nie Kaffee und Zimtschnecken, jedoch fanden wir einen herrlichen kleinen Campingplatz am Strand und als ich so da saß und beim Frühstück hinaus schaute auf das blaue Meer, dachte ich bei mir: Jetzt könnte der Urlaub anfangen. Leider konnten wir uns nicht einmal eine weitere Nacht hier gönnen - waren wir doch am übernächsten Abend in Karlstadt am Vänern zum Abendessen verabredet. 35 Jahre nicht gesehen und doch wieder erkannt. Der Abend war nett, das Essen toll und Lotte hatte sich, wenn auch mühevoll, mit der Siamkatze des Hauses angefreundet. 


Die letzte Nacht verbrachten wir auf Lolland. Die Jagd nach einem wundervollen Stellplatz ging diese Mal zu unseren Gunsten aus. Sonne, Meer, Schwäne, Zimtschnecken....alles auf Tuchfühlung. Auch hier hätte wir noch verweilen wollen. Beim Frühstück gesellte sich ein freundlicher älterer Herr zu uns. Wie wir den Platz denn gefunden hätten? Aha, die App, soso....Ingineur sei er gewesen, Schiffsbauer, dreißig Jahre wohne er schon hier, er habe sich dieses schöne ruhige Plätzchen ausgesucht zum Leben, aber nun kämen immer die Wohnmobile hier vorbei. In der Stadt würden wir wohnen, mittendrin, und im Urlaub würden wir uns nach einem schönen ruhigen Plätzchen sehnen. Der freundliche Herr lächelte und zog weiter. 


Es ist ein bisschen tragisch - was wir suchen zerstören wir selbst, wenn wir es suchen und man kann kaum etwas dagegen tun. 




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