Freitag, 16. November 2018

Zwei Freunde, vier Tage, sechs Länder, Gott und die Welt


Ich nenne es jetzt schon Tradition, mit meinem alten Jugendfreund zwei Mal im Jahr, zur Unzeit, wenn die meisten Fahrräder Winterschlaf halten, auf eine kleine Fahrradreise zu gehen. In den Oster- und Herbstferien treffen wir uns und radeln los. Der Erlebnisfaktor war dabei stets erheblich. Vom Orkan bis zum Schneesturm  und dem Ausfall reiserelevanten Gerätes war alles dabei und es gab immer nette Anekdoten am Rande, Salz in der Radreisesuppe sozusagen. 



Auch in diesem Jahr hatte ich mir wieder etwas feines ausgedacht. In Hamburg vor der Haustür starten, und durch Niedersachsen in die Lüneburger Heide zu meiner Else. Das spart die Übernachtungskosten und ein teures Abendessen, so dachte ich, und einen Biervorrat hatte ich auch schon angelegt. Am nächsten Tag sollte es dann weiter durch die Ostheide, das Wendland streifend zum Arendsee ins nordliche Sachsen-Anhalt gehen. Der dritte Tag führte uns zurück zur Elbe, die wir in Schnackenburg überquerten und weiter durch die Prignitz, dem nordwestlichen Zipfel von Brandenburg, zum Vielanker Brauhaus in Mecklenburg-Vorpommern. Unsere letzte Etappe sollte dann entlang der Elbe durch das südwestliche Schleswig-Holstein wieder nach Hamburg zurück gehen. Dazu kam es leider nicht, mehr dazu am Ende. 


Der Start war furios. Schönes Wetter, noch angenehme Temperaturen und leichter Rückenwind. Die vier Stunden bis in die Ostheide flutschten wunderbar. Erst mal einen Kaffee, dann zu Kalorien und Bier. Wäre schön gewesen, doch mein Freund schwächelte. Gegen 20.00 Uhr raffte es ihn dahin. Voll bekleidet, die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen dem aufkommenden Schüttelfrost entgegen arbeitend schlief er 12 Stunden durch. Ich lag noch eine Weile wach und brütete über potentielle Alternativprogramme.


Unnötig, wie sich am nächsten Morgen zeigte. Der Eifelmensch ist hart und herzlich, das Frühstück schmeckte und nach flinkem zusammenräume konnten wir, wenn auch mit etwas gedrosselter Drehzahl, wieder durchstarten. Dahlenburg ließen wir links liegen, die Göhrde auch, nicht jedoch, ohne uns dabei ausdauernd und gleichmäßig beregnen zu lassen. Nach Stunden ist dann auch die tollste Regenbekleidung durch. Bäcker? Kaffee? Fehlanzeige! Wir durchquerten gerade das am dünnsten besiedelte Gebiet Deutschlands, wer sollte da schon Kuchen essen? Clenze hieß das kleine Städchen, wo es im Eingangsbereich eines Supermarktes endlich heißen Kaffee gab und wir uns aufwärmen konnten. Noch eine gute Stunde entlang des Lüchower Landgrabens und wir erreichten unser Ziel am Arendsee.


Ich traute meinen Augen kaum, hatte ich doch eine Herberge mit angeschlossener Futterstelle explizit gesucht. "Restaurant diese Woche geschlossen -  Übernachtungsgäste wählen bitte die Nummer blablablau" und es triefte aus den Ärmel und lief den Rücken herunter, während es langsam dunkel wurde. Nach meinem Telefonat empfing uns eine mittelalte Dame in Kittelschürze. Die Zimmer waren wunderbar, allein an leiblichem Wohl würde es uns mangeln. Ja das sei ein Problem und "der andere Gasthof" habe auch zu, obwohl sie doch versprochen hätten in dieser Woche geöffnet zu haben, erklärte uns die Frau mit hörbarem Berliner Slang. Schnittchen könne sie uns machen, das gehe ja nun wirklich nicht, dass wir hungern müssen, aaaber keinesfalls dürfen wir es dem Chef berichten. Also Chef - hier gibt´s nichts zu lesen. Die Schnittchen waren mehr als großzügig bemessen, da hätte ich auch Lotte noch mit durchfüttern können. So saßen wir also gemütlich und mümmelten unser Abendbrot während, leider nicht der Kamin prasselte, sondern Wind um die Ecken pfiff und die nasse Kleidung auf der Heizung trocknete.


Frühstück wunderbar! Wir hatten ja am Abend schon eine Kostprobe. Nach herzlichem Dankeschön und einem angemessenen Trinkgeld machten wir uns wieder auf den Weg. Zunächst zu Fuß zum See. Man möchte ja wenigstens mal einen Blick drauf werfen, wenn man schon Mal da ist. Der Regen hatte aufgehört, die Straße war vom Wind getrocknet und es fuhr sich herrlich auf den leeren Landstraßen in Sachsen Anhalt. Auch waren wir die Einzigen hier, Autos gibt´s hier kaum und Radfahrer schon mal gar nicht. Wir genossen es. 


Die Landschaft war lieblich, der Wind wurde zunehmend garstig. In der Aaland Niederung blies er schon von schräg vorne. In Schnackenburg gab es auch keine Kaffee, aber immerhin fuhr auf zuwinken die Fähre über die Elbe. Nicht selbstverständlich bei diesem niedrigen Wasserstand. 


Auf der anderen Elbseite traf es uns frontal. Kilometer für Kilometer quälten wir uns mit gefühlter Schrittgeschwindigkeit gegen den frischen Wind. Schnell waren wir uns einig: Ein ganzer Tag Regen von hinten ist nicht so schlimm, wie ein ganzer Tag strammer Wind von vorne, auch bei Sonnenschein. Noch fast 50 km lagen vor uns, als wir uns entschlossen den Elbdeich zu verlassen und in leicht bewaldeten Gebieten, an der Löcknitz, weiter im Norden, Schutz zu suchen. Das klappte leidlich. In Lenzen war uns nach Kaffee und Kalorien. Das traurige Ostdeutschlandbild setzte sich auch hier fort. Selbst Spielhöllen waren hier  in die Pleite gegangen. Fragen hilft! Die junge Dame schickte uns in einen Supermarkt, der zwar auch geschlossen war, aber der Supermarktbäcker im Eingang, der war noch aktiv. Ein wirklich seltsames Bild, muss ich gestehen. 


Diese unsichtbaren Berge, die der Wind auftürmt zehren gewaltig, so sehr, dass wir schon in Dömitz wieder eine Eisdiele ansteuern mussten um neue Kraft zu tanken. Die letzten Kilometer zum Brauhaus nach Vielank waren unangenehm. Schnurgerade Straße, ungewohnt viel Verkehr, das machte keinen Spaß. Gute Laune kam erst wieder am Ziel auf. Stilvolle Zimmer in einer umgebauten Scheune, eine heiße Dusche und die müden Beine hochlegen.


Das kleine gemütliche Brauhaus war voll. Noch am Nachmittag hatte ich mich über die nötige Tischreservierung gewundert, jetzt wusste ich warum. Feine deftige Speisen gab es, dem Vernehmen nach vorzügliches Bier und ich hatte meine geliebte Vielanker Faßbrause. Die Zeit verflog, tief eingetaucht im Gespräch über Gott und die Welt. Das haben wir vor mehr als 30 Jahren schon gemacht, das ist mir immer wieder eine große Freude. Sehr unterschiedliche Lebensentwürfe haben wir, unterschiedliche politische Heimaten und gerade deswegen erlebe ich unsere Gespräche als einen großen Gewinn - bis der Wirt uns sanft hinaus kehrte. 


Frühstück gut! Nach Vielank werde ich gerne wieder fahren. Dieser Tag vereinte das Schlechte aus all den vorangegangenen Tagen. Regen, Gegenwind, viel Verkehr und Kälte, Grund die Tagesetappe kurz und bündig zu halten. Auf dem Bahnsteig in Pritzier tauschten wir die nassen Klamotten mit den müffelden aber trockenen der Vortage, nach dem Motto: lieber übel riechen als übel erkranken. Gerne würde ich jetzt schreiben, die zwei Stunden warten auf den Zug vergingen wie im Flug - taten sie aber nicht. Egal, das Gesamtpaket war erbauend und die Verabredung für die Osterferien steht, es fehlt ja noch das 6. Land.




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