Dienstag, 15. Mai 2018

Traumalleen




Im Winter sitze ich oft vor dem Computer und studiere Landkarten, Online-Reiseführer und Tourenportale nach lohnenden Zielen für Fahrradtouren für den kommenden Sommer. Schon im Mai, noch bevor dann der Sommer tatsächlich begonnen hat, ist die Anzahl der tatsächlich verfügbar freien Wochenenden geschmolzen wie das Wintereis - ganz nach dem Motto: "Irgenwas ist ja immer", sei es der unausweichliche Geburtstag von irgendwem, sozial-kulturelles Zwangsmaßnahmen, finanzielle Engpässe,  oder einfach auch mal nur richtig schlechtes Wetter, der Sommer ist quasi schon gelaufen.


Ein Frevel geradezu, wenn ausnahmsweise nichts davon zutrifft und ich trotzdem nicht das Weite suchen würde, dachte ich mir Freitag gegen Mittag und suchte flux eine günstiggute Unterkunft. Der Preis-Leistungs-Zufallsgenerator, verkörpert durch Booking.com, spuckte Parchim aus. 40,00€ incl. Frühstück bei sonnigen Bewertungen ist heutzutage schon fast geschenkt. Klick! - gebucht! Nahezu zeitgleich schlich sich eine SMS auf mein smartes Phone: "stell dir vor, ich habe das ganze Wochenende frei - wo fahren wir hin?" Ich hatte mich gerade auf alleine eingestellt. Da wir jedoch lange nicht mehr gemeinsam unterwegs waren und es zu zweit durchaus unterhaltsamer sein kann, nahm ich die kleine Programmänderung gerne an. Lediglich die Unterkunft war ausgebucht, sagte Booking.com. Ein kurzer Anruf klärte die Misslage und mit einem weiteren Telefonat war unsere kleine Reise an den folgenden zwei Tagen hinreichend geplant. 


Samstag Morgen lief dann ziemlich alles anders als geplant. Details erspare ich - die Folge, Start der Tour gegen 13:00 Uhr in Aumühle, das würde die Gesamtfahrzeit um ca. eine Stunde gegenüber einem Start zu Hause verkürzen, was uns im Anbetracht der fortgeschrittenen Tageszeit angemessen erschien. Mir schwebte eine gemütliche Tour vor, Ankunft am Ziel gegen 16:00 Uhr, ausgiebig duschen, dödelei, gediegenes Abendessen, einen Spaziergang durch die mir noch unbekannte Stadt, früh zu Bett gehen und vor dem Einschlafen noch etwas lesen. Aktuell standen die Zeichen nun auf "in die puschen kommen und Gummi geben". Das wir fast130 km gegen den Wind fahren würden entspannte die Lage überhaupt nicht. So blieb uns auch nur Zeit für eine kurze Pause am Schaalsee.


Hinter Zarrentin beginnt der wilde Osten. Auf betörend schönen blühenden Kastanien-Alleen gesäumt von blühenden Rapsfeldern geht einem das Herz auf. So schön! Und dieser Duft! Ich frotzelte noch, in den Dörfern hätten die üppig blühenden Fliederbüsche den einzigen Zweck, den Güllgeruch zu übertünchen. In der Lewitz passierten wir riesige Fischteiche und die Müritz-Elde-Wasserstraße und dann waren wir auch fast schon am Ziel. 


Freundlich wurden wir Empfangen. Die Zimmer waren angemessen, ein sicheres Plätzchen für die Räder gab es auch und man würde bis 20:00 Uhr servieren. Auf dem Zimmer gab es kostenloses Mineralwasser und die Dusche war sauber und heiß. Es blieben sogar noch ein paar Minuten zum verschnaufen. Das Essen war gut, zu einem Nachtisch kam es jedoch nicht mehr und da in der Küche schon geräumt wurde, trauten wir uns auch nicht, nach einem Kaffee zu fragen. 

Besichtigungsprogramm / Kulturecke: Das 18.000 Einwohner Kreisstädtchen Parchim ist exzellent herausgeputzt - und das war es dann auch schon. Es gibt einfach nichts zu berichten, Geschäfte, Kneipen, Döner - an einem lauen Samstagabend im Mai um 21:00 Uhr geschlossen. Kein Mensch auf den Straßen, der Stadtbrunnen gurgelte noch eine letzte Fontäne, bevor auch er in den Nachtmodus versetzt wurde. Was macht der Ostdeutsche wohl an lauen Maiabenden? 


Die Nacht war, das kann ich versichern, ruhig! Frühstück tadellos, nette Unterhaltung mit dem Herrn am Nebentisch: Er sei aus dem Rheinland und habe zu DDR Zeiten oft Tante und Onkel in Parchim besucht. Es sei ein Paradies gewesen und Samstags sei immer der Sand vor dem Haus gerecht worden. Bezahlen, Stahlrösser satteln, ja, einen Hund dürfe man auch mitbringen. Das war sozusagen die Einladung, mit Lotte noch einmal hier her zu kommen. An der Shell-Tankstelle noch schnell die Getränkevorräte auffüllen und dann führte uns der Plan Richtung Süden und erst einmal erstaunlich steil bergauf. 


Viel Wald, riesige blühende gelbe Meere und wieder diese wundervollen Alleen. Auch heute wusste die Mecklenburgische Landschaft durchweg zu begeistern. Zudem kam der Wind heute tendenziell von achtern. Immer wenn man gerade nichts böses denkt macht es zisch. Nein nicht dieses Zisch einer geöffneten Bierflasche, sondern das Zisch des Reifens wenn man über die nicht ordnungsgemäß entsorgten Reste einer Bierflasche fährt. Tatsächlich, ein kleiner bersteinfarbener Splitter im Hinterreifen - immerhin schien die Sonne und zu zweit flickt es sich gleich drei mal so schnell, so what?


Das Brauhaus in Vielank stand auf unserer Liste der bevorzugten Zwischenhalte. Eine kühle Fass-brause und aufgespanntem Sonnenschirm, ei wäre das fein. - Fanden erstaunlich viele andere Menschen an diesem Sonntag Nachmittag offenbar auch. Wir hätten uns mit einem Drinnenplatz arrangieren müssen, jedoch fehlte uns dazu jegliche Kompromissbereitschaft. Grabow, die Stadt der DDR-Schokoküsse, nein dort gibt es auch nichts, das hätte ich beim letzten Besuch der kleinen Stadt schon schmerzlich erfahren, aber in Lübteen wurden wir fündig. Der Dorfbäcker hatte geöffnet und bot verlockendes feil. Ein Schattiges Plätzchen unter einer Eiche inclusive. 


Gestärkt erreichten wir dann recht schnell die Elbfähre in Bleckede, schoben uns an einer beachtlichen Zahl wartender Autos vorbei und ließen uns übersetzen. Die Eisdiele in Bleckede, eine der besten im weiten Umkreis, lockte zwar, aber wiederum auch nicht nur uns. Die Warteschlange erschien uns deutlich zu lang - ein Fluch des sonnigen Sonntagnachmittages. Gar übel war auch die weitere Streckenführung von hier nach Lüneburg. Da muss ich mich wohl an die eigene Nase packen, der Routenplaner schickte uns an einer viel befahrenen Landstraße ohne Radweg längs und ich hatte es nicht gemerkt. Das macht wirklich keinen Spaß, ich hätte nach einer Alternative suchen sollen.

Puh! Endlich in Lüneburg! Fahrradkarte lösen, Fahrrad (samt Gepäck) auf den Bahnsteig schleppen, denn natürlich war der Aufzug defekt, um dann zu lesen "Fahrradmitnahme nicht möglich" - Ja danke auch, es war uns ein Vergnügen. Betrachtet man es jedoch realistisch statistisch, bin ich, bei so manchen Herausforderungen, noch nie nicht dort hin gekommen wo ich hin wollte. 


Um es vorweg zu nehmen, diese Serie setzte sich auch heute fort. Der aus Uelzen kommende Metronom war, was den Fahrradtransport anging, an seiner Kapazitätsgrenze. Sehr erfreulich war jedoch, dass ein Großteil der Radfahrer in Lüneburg ausstieg und so neuen Platz schaffte. Etwas schieben, etwas räumen, die meisten Radfahrer sind in Zügen sehr kooperativ, und wir passten alle rein. Na also, geht doch. Ich freue mich schon auf das nächste sonnige, frei Wochenende, vielleicht dann mal mit Lotte? 




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