Donnerstag, 10. Mai 2018

Schwerin und weg



Schwerin ist neben Bremen und Kiel eine der Landeshauptstädte, die man von Hamburg aus mit dem Fahrrad, wenn man sich ein wenig ins Zeug legt, an einem Tag erreichen kann. Ok, bei optimalem Trainingsstand sind sicher auch noch Hannover, Potsdam, Berlin und Magdeburg drin, aber das Jahr ist noch jung und Lotte sollte unbedingt mit, also war ich mit Schwerin sehr gut bedient.


Um die Sache entspannter anzugehen, beschloss ich die Bahnfahrt an den Anfang zu legen, die Strecke also von Schwerin nach Hamburg zurück zu fahren. Da mein innerer Wecker etwas vor ging, erwischten wir noch den Zug kurz nach acht. Wie gut! Der war schon brechend voll, und beim Nächsten in zwei Stunden wäre es sicherlich nicht besser geworden. 

15 Minuten Schwerin reichen um klar zu machen, das hier ist nicht das, was  Radfahrer erfreut. Während man noch mit den ungewohnten Straßenbahnschienen kämpft, ließen es sich ein halbes Dutzend Autofahrer nicht nehmen dem geneigten Pedalisten davon zu überzeugen, das Regelwerk der Straßenverkehrsordnung nur rudimentär zu beherrschen. Das gelbe Schild am Stadtrand erschien mir fast wie eine Erlösung, sonst eher verschmähte Radwege, auf dem Weg dorthin, wie Oasen der Sicherheit. 


Der Stadt den Rücken gekehrt gab sich Mecklenburg gewohnt einsam, friedlich und die wenigen Bewohner freundlich zugewandt. Mit wohligem Gefühl im Bauch glitt ich mit Lotte im Körbchen auf leeren Landstraßen Richtung Westen. Eigentlich noch zu früh für eine Pause, lockte ein friedliches Plätzchen in einem kleinen Ort. Ein blühender Birnbaum, Apfelbäume, das verschwenderische Gelb des Löwenzahn, die lange vermissten schreie der Schwalben und das Summen von Millionen Bienen gaben nebst einer komfortablen Sitzgelegenheit den Ausschlag zur Rast.

Was in den nächsten 20 Sekunden passierte lässt sich kaum beschreiben. Ich setzte Lotte am Boden ab um das Fahrrad sicher zu parken. Im nächsten Augenblick machte Lotte kehrt und legte sich mit dem riesigen Hofhund des Bauernhofes auf der Rückseite des Idylls an, sprintete sodann einer Katze hinterher und bremste an einem (für Hundenasen) offensichtlich wohlriechenden Kackhaufen scharf ab um sich im nächsten Augenblick rittlings hineinzuwerfen. Mir standen Augen und Ohren offen und ich war unfähig auch nur einen Ton von mir zu geben, schleuderte jedoch eine kleine Wasserflasche, die ich in der Hand hielt, Richtung Hund. Dies wurde mit einem Quieken quittiert, Lotte sprang auf und rannte geradewegs vor ein vorbeifahrendes Motorrad. Mir stand der Schweiß auf der Stirn, an diesem ach so friedlichen Plätzchen. Wir berappelten uns beide und Lotte kam etwas reumütig angeschlichen um, man mag das jetzt wirklich nicht glauben, sich unter der Bank auf der ich saß, an einem weiteren Scheißehaufen abzuarbeiten. 


Resigniert packte ich das stinkende, klebrige Knäuel Hund in die Tasche. Zum Glück saß sie hinter mir und ich musste das nicht alles immerzu riechen. Wer nun glaubt, das sei das Ende der Flegelhaftigkeit schon gewesen, der irrt. Zum Entstinken ließ ich Lotte ein Stück neben dem Rad herlaufen, bis wir an an einer großen Kuhwiese, die von einer beachtlichen Herde Rindviechern beweidet wurde, vorbei kamen. Im Schatten eines Baumes wollte ich Lotte wieder einsammeln, sie jedoch hatte andere Pläne. Mit kleinen Scheinangriffen brachte sie die Kühe in Wallung, so lange bis ich mich, hinter einem einzigen hauchdünnen Stromdraht, 50 spitzen Hörnern gegenüber sah. Zeit Fersengeld zu geben! Ach was war Joschi doch ein lieber Hund! Ich hatte das wirklich falsch eingeschätzt, beim nächsten mal würde ich umsichtiger sein müssen.


Immer auf der Suche nach einem perfekten "tiny house" wurde ich am Dümmer See fündig. Der Pfahlbau  am See kam meinem Ideal von Schönheit, Einsamkeit, Ruhe und nicht Rasen mähen müssen schon sehr nah. Bleibt natürlich die bescheidene Frage, wer verkauft so etwas und wenn ja, woher nehme ich das Geld - aber träumen wird man doch wohl noch dürfen.


Auf einem dieser alten DDR zweispur Panzerwegen, wie man sie im noch häufig findet, machte ich hinter einer Kurve eine Entdeckung, die mein, längst verschollen geglaubtes "Pfleger-Gen" schlagartig aktivierte. Zwischen den Spuren, weit ab vom nächsten Anwesen, lag eine älter Frau leblos am Boden. Keine äußeren Verletzungen, Puls und Atmung Normal, Pupillenreflex ok, jedoch nicht ansprechbar - auch wenn ich etwas aus der diagnostischen Übung bin, mir fiel dazu zunächst  nur der tiefe feste Schlaf nach einem überstandenen epileptischen Anfall ein. Dank Google Maps und etwas Übung ließ sich auch hier in der Pampa recht zügig ein Rettungswagen heranrufen. Meine Diagnose war übrigens zutreffend, die Dame war schon bekannt. Das war nun definitiv genug Aufregung für einen normalen Samstag im Mai.


Am Schaalsee gab  es Belohnungskuchen für Mensch und Hund. Wir genossen kaffeeschlürfend den Blick über den See. Ruhe, leicht säuselnder Wind, wieder Schwalbengeschrei, und ja, Mauersegler sind auch schon da. Der Stillgelegte Bahnhof an der alten Kaiserbahn von Berlin nach Kiel war noch einen Abstecher wert. Solche Orte ziehen mich immer magisch an. 


Nach Überqueren der A24 folgten wir eine ganze Weile dem ehemaligen Grenzverlauf. Herrliches Niemandsland, es roch abwechselnd nach Kiefern, Raps (als sei man in einen Honigtopf gefallen) und Flieder, während am Himmel Greifvögel ihre Bahnen zogen. Das macht irgendwie glücklich. Auf der Brücke am Elbe-Lübeck-Kanal schloss ein weiterer Liegeradfahrer zu mir auf. Seltene Begegnung auf dem platten Land, nur 0,07 Promille aller Fahrräder sind Liegeräder, also 7 von 100.000. Der Kollege war am Morgen in Wismar gestartet und kam zu einem Familienbesuch nach Büchen. Bisschen Fachsimpeln, ein paar Tipps hin, ein paar Tipps her, gute Fahrt, vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Das ist nicht unwahrscheinlich, die Szene kennt sich dann doch irgendwie. 


Unerfreulich war, dass die Routenplanung, heute von der im allgemeinen hervorragenden App Komoot vorgeschlagen, lange Zeit der Bundesstraße folgte. Der Belag des neuen Radweges war zwar tadellos, jedoch nervte der Verkehr auf die Dauer. Ich beschloss vom Vorgegebenen Weg abzuweichen und mich weiter südlich Richtung Elbe zu halten. Die Folge waren 20 weitere Kilometer. So waren es am Ende dann fast 140 an der Zahl. So weit war ich noch nie mit einem Sesselrad gefahren, so weit war ich noch nie mit Lotte gefahren. Achja, Lotte - das Biest - für den Rest des Tages hatte sich sich fast wieder vorbildlich verhalten. Das Vollbad war jedoch unausweichlich.









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