Sonntag, 19. März 2017

Brevet

Brevet kommt aus dem französischen und heißt Prüfung. Es geht im groben darum, eine Strecke in vorgegebener Zeit zu bewältigen. Angemeldet, den Obolus für den Veranstalter entrichtet, begibt man sich zur Startzeit allein, zu zweit, im Rudel auf den Kurs, durchläuft die angegebenen Kontrollpunkte und erreicht irgendwann vor Ablauf der Zeitfrist das Ziel. Kein Rennen, keine Zeitnahme, keine Platzierung, Allure Libre, wie der Franzose sagt, just for Fun, oder um es sich zu beweisen. Für mich war das vorangehende "soll ich oder soll ich nicht" alleine schon eine Prüfung. Selbstverständlich folge ich meinem allerersten Impuls des Sollens, wozu eigentlich immer die Zweifel, wenn man es dann doch macht?

Foto: Audax Club Schleswig-Holstein von 2000 e.V. 



  • Vier Uhr fünfzig: eine Amsel schmettert von draußen ans Fenster, so laut, dass sie den prasselnden Regen locker übertönt.
  • Fünf Uhr zwei: ich gebe auf, schleiche in die Küche und werfe die Kaffeemaschine an. 
  • Fünf Uhr vier: der Hund steht auch auf, 
  • Fünf Uhr sechs: der Hund guckt komisch und hat Pipi in den Augen 
  • Fünf Uhr acht, ich schiebe zwei Toasts in die dafür vorgesehenen Schlitze
  • Fünf Uhr neun, Hund guckt wieder normal
  • Fünf Uhr zehn, der Wecker klingelt, auf dem Weg ihn aus zu schalten trete ich,  in eine lauwarmen See
  • Fünf Uhr zwölf, Pott Kaffee und zwei Nutellatoasts 
Hallo Tag!



Aumühle, wenig südöstlich von Hamburg gelegen ist der Startort, in der Bahn kein Radfahrer, an der Anmeldung nichts los, jemand schimpft über die generelle Unfähigkeit von Wetter-Apps, so wenige Starter waren es selten.
  • Sieben Uhr dreißig, bestellte Unterlagen in Empfang nehmen
  • Sieben Uhr fünfunddreißig, Kaffee, gucken, in meiner Gewichtsklasse werde ich der Champ sein, das steht schon fest
  • Acht Uhr, es regnet immer noch
  • Acht Uhr drei, warme Worte zum Start
  • Acht Uhr fünf, mein verabredeter Mitstreiter trifft ein
  • Acht Uhr sechs, Go!
  • Acht Uhr acht, igitt ist das naß, wir beschließen die, mit in den Wind gestellten Schulterblättern ,vom Wettergott bevorzugten Renradfahrer erst einmal ziehen zu lassen.
Auf der Schleuse in Geesthacht offenbart sich Eckart, wie das mittlerweile aufgezogene Sturmtief heißt, mit einer ersten Kostprobe. Zwar würde es den Regen hinwegfegen, jedoch blies es heftig die Elbe hinauf. Die böigen Breitseiten waren beängstigend, auf dem viel zu schmalen Radweg, zwischen Leitplanke und Brückengeländer. 

Foto: Audax Club Schleswig-Holstein von 2000 e.V. 

Der Wind pustete uns die Elbe hinauf. Erste Plattfüße am Straßenrad, so ist man dann nicht mehr ganz hinten und ich lobte still die neu erstandenen Pannenschutzeinlagen. Langsamer minus ein Mal flicken ist schneller, so die Berechnung. In Bleckede wies die Karte eine Verpflegungmöglichkeit aus. Wir nahmen die Andere, ein Antiquitätencafé mit Blick auf das Wochenmärktchen. Bei frischen Brötchen und heißem Kaffee beobachteten wir draußen den Kampf mit herabfallenden Dachziegeln und wegfliegendem Gastronomiemobiliar. Unsere Liegeräder hatten sich derweil in stabiler Seitenlage verkeilt und boten keinen Grund zur Beunruhigung. 


Es folgte ein recht schöner, mir bislang unbekannter Abschnitt des Elberadweges, bis Darchau. Vom etwas erhöhten Ufer hatte man, bei noch fehlendem Grün, eine sehr schönen Blick über naturnahe Elbauen. Lange allerdings, durfte man den Blick nie von der Fahrbahn abwenden, der Sturm hatte im Wald schon sichtbar gewütet. Die Teilnahmeunterlagen dienten auch als Fahrschein für die Elbfähre. Die überfahrt war ruppig, dem vernehmen nach wurde der Verkehr bald darauf eingestellt. 


Die 215 km lange Marathonstrecke, die ab Neu Darchau dem Elbverlauf weiter folgen würde, war Wetterbedingt nicht mehr Thema. Wir befuhren, mit 60° Seitenneigung den schnurgeraden neuen Radweg bis Neuhaus. Dort war klar: Schluss mit lustig. Zwei Esel, zottige Exemplare der weltweit größten Eselrasse (wie eine Schautafel verriet) mit riesigen Köpfen, lenkten unsere Aufmerksamkeit auf sich, waren dem Ohrenkraulen nicht abgeneigt und dehnten die Trink- und Müsliriegelpause angenehm aus. Was zeichnet Esel eigentlich gegenüber Pferden aus? Offensichtlich die gute Figur, die sie bei Windstärke 9 machen. Von jetzt an würde es, bis zum Ziel, gegen den Wind an gehen. 


Wie schön die Landschaft doch ist, dachte ich mir, während ich mich behutsam mit 12-14 Stundenkilometern auf dem Sude-Deich gegen den Wind stemmte. Behutsam weil Eckart dazu neigte, einen vom Deich zu fegen. Mein Mitfahrer, deutlich schmächtiger und leichter als ich, hatte sichtbar mehr zu kämpfen. Immerhin schien die Sonne ab und an und eilige Wolkenfetzen unterstützten das schöne Landschaftsbild. Die Oberschenkel fühlten sich, an wie Ballons, das Gesäß schmerzte auch irgendwann. - muss ja. Was ist denn die Alternative? Zu Hause aus dem Fenster schauen? In der Ferne war schon der Hafenkran von Boizenburg auszumachen. 


Sonnenschien, ein windstiller Innenhof, Kaffee und auf Empfehlung der Bedienung, Schwarzwälder Kirsch. Ich frage gerne mal: "Was würden Sie denn essen?" Mit den Pausen verhält es sich jedoch so: sie müssen der Situation stets angemessen sein. Zu lange? Zu viel gegessen? Das geht schnell nach hinten los. Auch bei unserer zweiten Pause fanden wir das rechte Maß und fanden schnell wieder in den Trott. Vierzig Kilometer noch, das war absehbar zu schaffen.


Handicap eins, die steile Rampe am Elbhang in Boizenburg, hinauf zur ehemaligen Grenze, Handicap zwei, immer noch Gegensturm. Mein Begleiter konterte meine Suggestivfrage: "Verdammte Scheiße, was ist das jetzt?" als uns eisiger Regen ins Gesicht peitschte, trocken mit: "Illegaler Regen!" Wie schon erwähnt, es gab auch jetzt keine Alternative zu aussitzen und weiter fahren. 


Siebzehn Uhr neun, Zeileinlauf. Hallo! da! 143 km, 9 Stunden, trotz widriger Bedingungen noch gut in der Zeit. Suppe, wahlweise vegetarisch oder mit Tier, ein Bier, wahlweise mit oder ohne Droge und zum Nachtisch ein Stückchen Käsekuchen. Laune bestens, Brevet kann man machen, fühlt sich gut an. Die Saison hat ja nicht einmal angefangen, da geht noch was. 





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen