Samstag, 11. Februar 2017

Wie man sich bettet...


...so liegt man bekannterweise. Hamburg, grau, minus 3°C, Schneegeriesel, ein lebensbedrohliche Männerschnupfen hat mich fest im Griff - Zeit um über den Sinn des Lebens und andere philosophische Themen nachzudenken, z.B. warum fahre ich eigentlich mit solch einem seltsamen Liegerad? Wie förderlich ist das, wie konnte es dazu kommen - ist es gar albern?


Nun, den ersten Gedanken daran verschwendete ich Ende der 80er Jahre. Da hatte ich mal so etwas gesehen und davon gehört. Als ich mich dann etwas konkreter nach Preisen erkundigt hatte, verschob ich die Idee auf nächsten Monat. Im nächsten Monat, also ungefähr 2002, gerade frisch nach Hamburg gezogen, kam es mir wieder zu Kopfe. Das Liegeradstudio (seinerzeit noch in Altona) bot vorzügliche Beratung und auch eine Probefahrt an. So lag ich nun zum allerersten Mal, und war begeistert, jedoch nicht so begeistert, dass ich den Kaufpreis ausblenden konnte. Liegeräder sind Kleinserienfahrzeuge, der Preis liegt über dem eines gleichwertigen Fahrrades von der Stange. So mussten also noch weitere Jahre ins Land gehen. 


2012: Eine Radtour rund um Estland war der Traum. Sabine, bandscheibenschadengeplagt, hatte schon 3 Jahre auf ihr Trike (ein Liegerad mit drei Rädern) gespart. Angetan vom Go-Kart-Feeling, der schnellen Faltbarkeit, der großartigen Verarbeitungsqualität, den guten Möglichkeiten für den Gepäcktransport, wurde das Gefährt, nach damals gefühlt kauziger Beratung (heute verstehe ich den Mann) bei RBK in Harburg gekauft. Nagelneu und, sehr wichtig. orange. 



Die Tour war schön, aber beschwerlich. Nach drei Wochen war auch ich überzeugt, ich brauche dringend ein Liegerad für meinen Rücken und zwar ganz schnell, also innerhalb der ersten 48 Stunden nach Rückkehr. Ich war überzeugt, das sei es. 500m weiter, am Berliner Tor, bot jemand ein Optima Dragon, weder neu, noch schön, noch auf meine Körperbelange passend, an. Zum einen wusste ich das Meiste gar nicht, und den Rest blendete ich einfach aus, denn der Preis war nach vollbrachtem Urlaub gerade noch so bezahlbar. 2.000 km bin ich dann bis Jahresende noch damit herumgerobbt. Immer noch überzeugt von der Richtigkeit des Gerätes ließ ich es mir nicht nehmen, mein Weihnachtgeld in eine umfassende Aufrüstung zu investieren. Lichtanlage, Hydraulikbremsen, Stufenlosgetriebe (ja ja), neue Laufräder, Pinschermitnehmeeinrichtung. Schon Mitte Januar war das Schmuckstück fertig und Mitte Februar war ich fertig mit dem Schmuckstück. Mir schwante da passt nix, zudem war es gar garstig langsam und unbequem. Wie konnte das nur?


Februar, Radreisemesse in Hamburg (ein großer Feiertag im Jahreslauf), am Vorführstand von Toxy wurde ich fündig. Drei Wochen später stand ich bei der Manufaktur (seinerzeit eine Doppelgarage, das Original war just einem Brand zu Opfer gefallen) von Arved Klütz in Brande-Hörnerkirchen auf der Matte. Probefahrt, Preisverhandlung, das Flite mit dem Oberlenker sollte die eierlegende Wollmilchsau werden, gelb, nach einem Anruf bei Sabine weiß, in Fachfragen hole ich gerne eine zweite Meinung ein. Drei Mille plus würde es kosten. Schmerzhaft, aber immerhin war es für den Rest des Lebens gedacht. Problem: das gebrauchte und teuer aufgeschickte Optima wurde zum Ladenhüter. Erst kurz vor dem nächsten vorweihnachtlichen Finanzkolaps kam ein Engel daher und legte ein paar Euro dafür auf den Tisch. Vergessen vorbei, alles gut. 


Nun war es also da. fuhr schön, mein "Aufrechtrad" hatte ich zwischenzeitlich aus Geld- und Platzmangel auch schon verkauft, als mir so war, als sei ein Liegerad im alltäglichen Großstadtverkehr doch nicht ganz das Gelbe vom Ei. Ein hinterhergerufenes "Man sieht dich gar nicht Mensch!" ist wirklich ein dummer Spruch. Zum Einen könnte man es mir nicht hinterher rufen, wenn es denn so wäre, zum Anderen heißt "hab ich nicht gesehen" in der Übersetzung erfahrungsgemäß "Hoppla! - ich hab gar nicht in diese Richtung geguckt." Da kannst du rosa Panzer fahren und wirst nicht gesehen, darum verlasse ich mich lieber auf das Sehen, als auf das gesehen werden. Da haben wir Liegenden tatsächlich ein Problem. Wo an Einmündungen der Renradfahrer die Augen vorne hat, sind es bei uns allenfalls die Hühneraugen, dann die Beine, der Po, der Rumpf und wenn man schon Mitte Fahrbahn ist kommen auch die Augen an. Da muss es doch was anderes geben? Gibt es: Sesselräder, Scooterbikes! Eine derweil nahezu ausgestorbene Fahrradgattung, mit erhöhter Sitzposition, tiefen Pedalen und einer den Hamburger Radwegen angemessenen Rundumfederung. Wenig gefahren, gut gepflegt, für 650,00 Euro incl. Versand aus Varel am Jadebusen - 3-2-1 Meins!



Schwarz wars, schön wars, ich liebte es, kaputt wars. Nach einem Jahr brach der Rahmen, was zum Einen an einem offensichtlichen Konstruktionsmangel, zum Anderen am Gewicht von Mensch und Pinscher gelegen haben mag. Der Hersteller zeigte ich verständnisvoll, jedoch müsste ich Verständnis dafür entwickeln, dass das Gefährt, die Produktionsnummer verriet es, schon 13 Jahre auf dem Buckel hatte. Die Liebe war so innig, dass zeitnah Ersatz herbei musste. Der Nachfolger war konstruktiv nachgebessert, gelb, und stammte aus einer bayuwarischen Haushaltsauflösung. Ich taufte es Krusenstern, weil man damit so schön krusen kann. 


So waren wir dann glücklich, ich, meine beiden seltsamen Räder, und auch der Pinscher der oft nebenher lief, aber später immer häufiger in seinem Körbchen am Heck saß und die Landschaft vorbei ziehen ließ - glücklich bis zu dem Tag, als mir klar wurde, das Wollmilchsäue keine Eier legen. Übersetzt: bis mir klar wurde, dass mal schnell ein paar Hundert Kilometer fahren richtig Spaß macht und meine beiden schnellen Räder unter den schnellen Rädern eher zu den langsamen gehören. Mehr als 25.000 km hatte ich nun schon liegend die die Welt betrachtet, da bekommt man langsam Gefühl für das was zählt. 


 0,07 Promille aller Fahrräder in Deutschland sind Liegeräder, also nur jedes 70.000. Rad. Die Szene ist klein, man kennt sich, da wird selbst Hamburg zum Dorf. Hier gucken dort gucken, ausprobieren, beim monatlichen Liegeradstammtisch weiß immer wer was oder kennt jemanden dessen Schwager .... So hatte ich dann auch die Möglichkeit verschiedenen Räder einmal auszuprobieren. Meist war ich erst ganz angetan, später aber enttäuscht. Es muss passen. Kurze Beine habe ich, sehr kurze und einen langen Rumpf. Vielleicht ein Grund dafür, warum ich nicht hoch sitzen mag und auf derweil gar nicht mehr so moderne Tiefflieger anspreche. Also tief muss es sein, lang muss es sein (lauft ruhiger geradeaus), hohes Tretlager, schmale Reifen, simple Schaltung und Bremsen, kein Bullshit der gewartet und irgendwann ersetzt werden muss. 


Passt! Stahlrahmen, Buchenholzsitz, 3x9 Gänge, Felgenbremse, Feierabend! Das Tretlager 25cm Höher als der Hintern, in dieser Position hat man kaum Stirnfläche, kann aber noch ohne Mühe über das Bäuchlein auf die Straße gucken und ist, trotz 17 Kilo Startgewicht, pfeilschnell. Das Toxy habe ich derweil zum fairen Preis an die Frau gebracht und den Cruiser für weitere Radreisen tauglich gemacht. Dem nächsten Fahrradsommer sehe ich freudig entgegen (sollte ich den Männerschnupfen überleben).


Aber was ist es denn nun, was das Liegeradfahren anders macht? So genau lässt sich das gar nicht beschreiben. Ja manchmal kommt es mir selbst etwas absurd vor, so als "Außenseiter" durch die Gegend zu strampeln. Man muss es tatsächlich zunächst einmal lernen, das Anfahren ist konstruktionsbedingt schwierig, beim Halten des Gleichgewichtes fehlt eine Körperachse, kleine Räder kleines Kreiselmoment, und bums. Ein paar wenige Menschen schütteln verständnislos den Kopf, andere schimpfen gar, aber die allermeisten sind neugierig und offen. Gelenkschonend, gleichmäßiges Treten bei vorausschauendem Fahren, eine Wonne für Po, Rücken, Nacken und Hände, leises dahingleiten mit unglaublicher Geschwindigkeit über die Deiche und nach 200 km absteigen als wäre nichts gewesen. Wenn man dann ab und an auf ein "normales" Rad steigt, sich alles falsch anfühlt und man sich tatsächlich wundert, dass Menschen freiwillig auf solch seltsamen Gefährten umherfahren, dann weiß man, es gibt keinen Weg zurück. 



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