Sonntag, 5. Juni 2016

Komfortzone Verlassen, (Leistungs)horizont erweitern





Warum tut man das? Couch, Flaschenbier (bringen lassen), Fernbedienung und alles Schöne dieser Welt auf sich einrieseln (-prügeln) lassen würde doch reichen? Midlifecrisis? Männersache? Dummheit? Wahnsinn?....alles bestimmt nicht. Um es gleich zu sagen: Ich weiß es nicht, aber vielleicht können wir uns dem nähern?







Die Idee war, von Hamburg nach Berlin fahren, mit dem Fahrrad und ohne Schnickschnack. Ca. 3 Jahre ist diese Idee jetzt alt und ich hatte immer schon das Gefühl, das ich das kann, das es mir Freude machen wird und das ich danach unheimlich stolz sein werde. Nun ist es jedoch so, dass man eben genau diese Dinge nicht teilen kann. Es sind sehr persönliche Dinge, nichts was knallt und abraucht.


Da ist zunächst einmal das nötige Training, die Form am Tag X, das Material, das in Schuß sein sollte und die Rahmenbedingungen, wie z.B. das Wetter usw. Schön ist es wenn man Menschen hat, die daran glauben, dass man es schafft, aber Fahren muss man selbst. Es ist meine Tour, aus dieser Klarheit heraus hatte ich dann am Ende auch halbherzig aquirierte potentielle Mitfahrer wieder abgesagt. Irgendwann war klar, der 4. Juni ist der Tag. Mein Kopf hatte natürlich, und das war im Nachhinein betrachtet die größte Herausforderung, 1001 Gründe warum es nicht geht. Angefangen vom falschen Fahrrad bis zur nicht perfekt sitzenden Unterhose - ich siegte. Als das klar war begann auf Kommando mein Körper mit Sabotageakten, hier mal niesen, ein Zwicken, Mattheit....ich habe dich durchschaut mein Freund. Wenn dann alles nichts mehr Hilft, dann Fährt die Deutsche Bahn beim Buchen des Fahrradrückfahrtickets schwere Geschütze auf. Ach ihr könnt mich doch mal!


22:40 Uhr - draufsetzen, Bussi, losfahren, sogar den Hund hatte ich vergessen zu kraulen. Bisschen durch die Innenstadt schlängeln, für die Lauesommernachtvorortkids war ich eine kleine Attraktion die es freundlich johlend zu begrüßen galt. Nacht, dunkle Nacht, über Krümmel zerbarst symbolträchtig eine Sternschnuppe. Pause, Banane, Müsliriegel, Wasser, auf Nachforschen die Gewissheit, die Elbfähren fahren nachts nicht und daraus resultierend eine Kurskorrektur. 



Fatal, unter der Elbbrüke in Lauenburg legte es mich danieder. In einem mit Sand aufgefüllten Schlagloch - diesen Schwachsinn werde ich wohl nie verstehen, man sieht das Loch nicht, legt sich aber als Radfahrer garantiert ab, zumindest wenn man 20" Räder hat. Stockdunkel! Der Lenker hat sich um 180° gedreht, nix abgerissen, nur etwas geschürt. Sand abklopfen, alles notdürftig richten. Das Übel trat erst 80 km später zutage. Die rechte Klickpedale hatte wohl nicht schnell genug ausgelöst und im Knie, an der Außenseite tat es weh und weher. Ein Grund die Sache abzublasen? Nix dick, nix blau, sicher nur überdehnt, ich zieh das durch, ich glaube ich habe ein ganz gutes Gefühl dafür, wenn ernsthaft was kaputt ist. 



Dann kam auch schon das, wofür ich diesen Tag bis ans Ende meiner Tage lieben werde. Ein Morgen in den Elbauen. Kühle 9°, Bodennebel, seit viele Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Kranich im Nebel, Störche ,das quaken von Millionen Fröschen, ein Silberstreif am Horizont, Starenschwärme fliegen auf ansonsten nur ich, meine immergleiche Bewegung und das leise surren der Kette. Ich gehöre jetzt auch zu den wenigen Menschen, die jemals eine Dachs in freier Wildbahn gesehen haben, diese scheuen Tiere gibt es wirklich, dort draußen in den Elbauen. Der Sternenhimmel zieht sich zurück, die Sonne geht auf, der Zauber ist vorbei, aber ich werde ihn mir bewahren.


"Kaffee gibt's ab 6!" - "Ach bitte bitte!" - na geht doch, auch in Dömitz. Lange Pausen erlaubt eine Strecke von dieser Länge nicht, jedenfalls nicht ohne zu nächtigen. Als Kaffee und Gebäck bei mir tatsächlich ankommen, überfällt mich schlagartig eine Müdigkeit, der ich aufgrund der Tatsache, dass ich mich im Straßenverkehr bewege, auch spontan nachgebe. Halbe Stunde im Straßengraben. "Alles in Ordnung?" Brüllt ein Bauer von seiner Riesigen Landmaschine herab. Ich blinzele und halte den Daumen hoch. Frühstück II in Wittenberge. Auf dem Klo Wasser fürs Gesicht, Schuhe aus, Füße lüften, Trikot wechseln, Lichtschutzfaktor 50+ Orgie, Kaffee, jaaha schon wieder Kuchen, aber ich darf das. 10 Minuten warte ich bis eine Apotheke öffnet. Mir schien Balsam fürs Knie angemessen, Tretausleger einen Tick rausziehen, etwas Druck wegnehmen.


Nach 260 km war ich dann trotzdem durch. Wenn der Puls an Steigungen nicht mehr ebenfalls steigt, dann ist das kein Zeichen besonders guter Kondition, sondern einfach ein Zeichen dafür, daß man fix und fertig ist und der Körper nichts mehr zu bieten hat. In jedem Kaff gewährte ich ihm 5 Minuten Pause und stellte mir vor, wie Reserven aus meinen dezent vorhandenen Bauchfettpölsterchen in die Oberschenkel fließen. Das funktionierte leidlich. Der Durchbruch jedoch kam mit einem gänzlich unerwarteten Stück Blaubeer-Schmand Kuchen und einem Milchkaffee. 


Ich hatte wieder einen Blick für die Schönheit der Havellandschaft. Nette kleine Städtchen, Fähre, das Denkmal auf dem Berg von dem Otto Liliental einst sprang.
Angekommen! Fürstlich empfangen, tolles Essen, Schulterklopfen, 329 km, Bauchpinseln. Ja, es war ein Kraftakt, eine gewaltige Leistung, aber es ist meins - ihr könnt das nicht verstehen. Aber vielleicht, vielleicht habe ich jetzt jemandem Mut gemacht, seins zu machen. Das wäre schön.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen