Montag, 14. September 2015

Tag der Idioten


...Patrioten, wie sich das, um es einmal mit den Worten unseres farblosen Vizekanzlers auszudrücken, Pack, selbst nennt - eine kummulation aus Neonazis, Hooligans, Pegidaanhängern und sonst irgendwie Besorgten, die an diesem Samstag den 12. September durch die Hansestadt pesten wollten, dies jedoch auch in dritter Instanz vom Bundesverfassungsgericht untersagt bekamen. Gut so. Also, der Aufmarsch fand nicht statt, auf dem Rathausmarkt und in allen Bahnstationen sang man gemeinsam "Imagine" von John Lennon und für den aufrechten Bürger dieser Stadt gab es weiter nichts zu tun, um die Metropole ins rechte Licht zu rücken. Fahrradfahren könnte man da alternativ. Eine Route war auch schon auserkoren, Von Reinfeld gen Osten, an die Nordspitze des Ratzeburger Sees, dann durch das schöne Mecklenburg bis an die Ostsee und den Tag auf dem Priwall ausklingen lassen. Handyticket war gekauft - der Fehler des Tages, wie sich herausstellen sollte. Die Ostseite des Hauptbahnhofes war von der Polizei abgeriegelt. Von Süden ging noch - keine Züge nach Richtung Harburg, keine Züge Richtung Kiel - ich schob das Fahrrad duch die überfüllte Halle, nahm den Aufzug auf Gleis 5 und eilte zum Zug nach Travemünde. Da passten wir so gerade noch rein. Einmal mit der Enge arrangiert wanderte der Blick von betretenem Gesicht zu betretenem Gesicht. Dann kam die Durchsage noch einmal: "Die Abfahrt verzögert sich um unbstimmte Zeit". Ticket hin Ticket her - hier sollte mein Tag nicht enden. Entschuldigung, Achtung, Vorsicht, darf ich mal.....schon nach 20 Minuten war ich wieder auf der Straße mit der Absicht nun einfach los zu fahren, grobes Ziel: Lübeck.


Krusenstern habe ich mein Scooterbike vor ein paar Tagen getauft. Stilecht kyrillisch beschriftet. mit einem Schneidplotter, der passenden Transferfolie und ein bischen Fummelei ist das kein Problem. Knallrot auf leuchtend gelb, ich finde es ist ein Hingucker. Desweiteren wurde (unter Flüchen) die zugehörige Tasche für den Hund repariert. Leider haben diese 100+ € teuren Teile einen Konstruktionsmangel und reißen immer wieder an der selben Stelle. Ein erneutes Einsenden an den Hersteller hielt ich für sinnlos, aber der Plan, die Schwachstelle mit stabilem Gurtband zu verstärken hat funktioniert. So läßt sich nun der Pinscher wieder sicher und geschützt transportieren. 


Erst mal raus aus der Stadt, hatte ich Muße die elektronische Landkarte zu studieren. Lübeck? - langweilig! Man könnte doch auch...... genau! Mölln, Ratzeburg, Reinfeld - macht 100 km für den Fittnessplan, fürs Herz, für die Beine und für die Seele. Die grobe Navigation, schließlich war die Entscheidung spontan, übernahm das kleine Gerät an meinem Lenker, und dies überwiegend wunderbar. Heruntergefallene Eicheln mit dicken Ballonreifen knacken - unerklärbar, Männervergnügen. Überwiegend endete dann zunächst einmal irgendwo kurz vor Möllen auf quasi unbefahrbaren Feldwegen. Ich werde nie verstehen, wie man Sandwege als Radwege deklarieren kann. Traktorreifen hatten ihnen den Rest gegeben. Mir blieb nur Schieben, und selbst das war mühsam. 


Fluchend dahinschiebend stieg mir ein herrlicher duft in die Nase. Diesmal nicht, wie sonst üblich, aus meiner großen grünen Tasse, sondern vom Feld nebenan. Ich schob durch die wohl größe Pfefferminzplantage die ich je gesehen habe und um mich ein wenig zu trösten bediente ich mich reichlich an den sattgrünen Blättern. 


In Mölln, der Eulenspiegelstadt, war mir nach Kaffee. Ein Billigbäcker auf einem großen Platz mit netter Draußensitzmöglichkeit bot sich an. Käsekuchen -  etwas verschämt druckste die sehr junge Verkäuferen, sie habe keine Teller mehr, und Löffel für den Kaffee seien auch alle. Wir einigten uns auf Pappschale und Kuchengabel. Draußen auf den Tischen und an der Rückgabestelle türmte sich das Geschirr. Ich musste schmunzeln und gab ein gutes Trinkgeld. Die junge Dame war der Sache wohl noch nicht ganz gewachsen. 

Weiter Richtung Ratzeburg, im Wald an der Farchauer Mühle feierte man Hochzeit. Frauen in furchtbaren Kleider schleppten Geschenke und Männer in schlecht sitzenden Anzügen mit mürrischem Gesicht hinter sich her. Ich kurvte auf grobem Schotter um die Gesellschaft herum und dankte Gott (ich muss beizeiten mal darüber nachdenken, ob es sie wirklich gibt, aber danken schadet ja nicht), dass ich diesem Zinnober hier und heute nicht beiwohnen muss und stattdessen in hautengem buntem Spandex gehüllt, auf einem sehr seltsamen Fahrrad, mit einem Pinscher im Körbchen, alleine durch den Wald preschen darf - welch ein Segen, welch eine Freude. Was die wohl von mir gedacht haben mögen?


Wie eine Perle lag Ratzeburg am See in der Abendsonne. Ich hätte verweilen wollen, aber es wird zur Zeit schon recht früh dunkel und auch kühl. Die Landschaft ist hügelig. "Zu verschenken" stand an einer Kiste mit Äpfeln am Wegesrand. Kauend strampelte es sich viel einfacher bergauf. Eine Weile folgte ich dem Elbe-Lübeck-Kanal. Die Stadt war schon in Sicht, als ich nach Norden, wieder einmal stramm bergan, auf einen Funkturm zusteuerte um sogleich hinab ins Travetal zu sauste von wo ich nur noch wenige Kilometer bis in die Karpfenstadt Reinfeld hatte. "Wo hält denn der Fahrradwagen?" Drei Menschen deuteten unabhängig voneinander auf dem Bahnsteig nach Osten. Warum hatte ich überhaupt gefragt? Meiner Intuition folgend schob ich Rad samt Pinscher Richtung Westen. Es ist gut seiner Intuition zu folgen. 






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