Montag, 29. September 2014

Silberner September





Mit dem ersten Augenaufschlag war klar, heute muss es die Ostsee sein, und dass wir noch genau 58 Minuten Zeit hätten bis der Zug Richtung Lübeck abführe, erkundete ich bei der ersten Tasse Kaffee im Bett. Der Pinscher räkelte sich noch irgendwo bei den Füßen, also bei meinen Füßen, und blinzelte. Der Regionalexpress nach Lübeck hatte Verspätung und die Regionalbahn nach Neustadt fuhr heute nur in halber Länge, was soviel heißt wie doppelt voll. Grimmig beobachtete mancher wie ich mich nun auch noch hinein quetschte, aber ein Pinscher auf dem Gepäckträger löst die Stimmung oft spontan. 


Goldener Oktober war das noch nicht, ich nenne es Silberner September. Über der Ostsee hing feiner silberner Nebel, der hell war und die Farben verschluckt. Die Sonne mühte sich nach Kräften, jedoch den ganzen Tag vergebens. Ich verfuhr mich zunächst nach links, dann nach rechts, aber heute war es mir egal, wir hatten alle Zeit der Welt. Kühle Luft an den nackten Beinen, Wind in den Härchen und ein bisschen von der fahlen Sonne gestreichelt, ich liebe es und auch der Pinscher im Fond erschiene mir interessiert vergnügt. Frühstück in Sierksdorf. Der einzige Tisch mit Ostseeblick beim Bäcker war schon besetzt. Ich fragte höflich, ob wir uns dazu setzen können. Wir sprachen über Lebenszufriedenheit, das Wetter und das Sein als solches - ich vergaß das Ostseeblicken. 


Timmendorf, Hermannshöhe, Travemünde. Auf der neuen Seebrücke in Niendorf sonnten wir uns eine halbe Stunde. Der Weg zur Mole in Travemünde wurde offensichtlich neu geteert. Die gesamte Strandräuberschafft hatte das Jahr schon abgeschrieben. Strandkörbe wurden überall ins Winterquartier verfrachtet und Boote aus dem Wasser gezogen. Noch einmal im Sand liegen - nein, der Herbst ist nicht aufzuhalten, auch in diesem Jahr nicht. Würde ich der Marzipantorte bei Niederegger widerstehen können - nein, würde ich nicht. 


Mit Schwung enterten wir die Priwallfähre. "Schiiiiieben!!!" tönte es wie immer von hinten. "Waaas!" rief ich wie immer zurück. Auf eine Fahrkarte hatte ich dieses Mal verzichtet, macht die halbe Marzipantorte. Wir umschiffen den Yachthafen und die dümpelnde "Passat" im frühen Abendlicht. Noch einen Blick auf die Ostsee hinaus, noch einmal durchatmen. Dassow, Schönberg, Lüdersdorf - ich liebe diese Orte, obwohl die Straßen übelst gepflaster sind. Hier ist noch ein kleines bisschen DDR erhalten geblieben. 


Ab und zu halten wir am Wegesrand, schauen uns Kühe auf der Weide oder reife Hagebutten an. In Lübeck wurde es langsam dunkel. Ich passiere eine Demonstration gegen irgendwas und plötzlich sprangt mir ein Uniformierter in den Weg. "Das ist eine Fußgängerzone!" herrscht er mich an. "Oh, Entschuldigung, ich öhmm, ich bin nicht hier aus Lüneburg, ich suche den weg zum Bahnhof!" und mühte mich dabei um einen deutlich vernehmbaren rheinischen Akzent - funktioniert fast immer, dieser Trick :)









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